Rumänien muss nachsitzen

Wegen Kinderhandels, Korruption und Verletzung der Pressefreiheit prüft das EU-Parlament, ob die Verhandlungen für eine Aufnahme in die Union ausgesetzt werden

Korruption sei in Rumänien vor allem auf der politischen Ebene weit verbreitet

BUDAPEST taz ■ Kinderhandel, ausufernde Korruption, missachtete Pressefreiheit, Polizeiwillkür, parteiische Justiz – schwere Vorwürfe gingen zu Anfang dieser Woche an die Adresse der rumänischen Regierung. Erhoben hat sie die Rumänien-Berichterstatterin des Europaparlaments, die britische Liberale Emma Nicholson, bei einem Besuch in der rumänischen Hauptstadt Bukarest. Nicholsons Fazit und Forderung: Rumänien sei derzeit noch nicht reif für den im Jahr 2007 geplanten EU-Beitritt, die Aufnahmeverhandlungen sollten unterbrochen werden. Über einen entsprechenden Antrag will das Europaparlament in den nächsten Wochen entscheiden.

Rumänien könne das Beitrittsdatum 2007 nur einhalten, wenn es seine Integrationsbemühungen radikal verstärke, sagte Nicholson am Montag in Bukarest nach Gesprächen mit Regierungschef Adrian Nastase und Staatspräsident Ion Iliescu. Sie plädiere aber dafür, die Verhandlungen auszusetzen, damit Rumänien Zeit habe, sich besser auf den EU-Beitritt vorzubereiten.

Korruption sei in Rumänien vor allem auf der politischen Ebene weit verbreitet, das Justizwesen funktioniere schlecht und sei abhängig von Weisungen aus dem Justizministerium, die Polizei agiere häufig willkürlich und gewalttätig, kritisierte Nicholson. Rumänien müsse zudem Maßnahmen für eine bessere Sicherung der Pressefreiheit sowie gegen die Verfolgung von Journalisten ergreifen.

Besonders hart für die rumänische Regierung ist Nicholsons Vorwurf des Kinderhandels. In den Neunzigerjahren hatte Rumänien in tausenden Fällen dubiose Adoptionen rumänischer Kinder durch ausländische Familien zugelassen, sich dann aber im Juni 2001 auf Druck des Europaparlaments bereit erklärt, ein strenges Adoptionsgesetz zu verabschieden und internationale Adoptionen bis zum In-Kraft-Treten des Gesetzes zu stoppen.

Eingehalten wurde das Adoptionsmoratorium jedoch nicht. Bereits Ende Januar beschuldigte Emma Nicholson die rumänische Regierung, sie habe unter anderem im Dezember vergangenen Jahres 105 Kinder zur Adoption nach Italien freigegeben. Die Adoptionen sollen Nicholson zufolge auf persönliches Ersuchen des italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusoni bei der rumänischen Regierung erfolgt sein.

Ermöglicht würde der „Kinderexport“ durch korrupte Beamte und Politiker in höchsten rumänischen Regierungskreisen, so Nicholson letzte Woche in der britischen Zeitung Daily Telegraph, profitieren würden dabei auch kriminelle Organisationen, die eine regelrechte Industrie zur Kinderausbeutung aufgebaut hätten. Insgesamt sollen in den vergangenen beiden Jahren etwa 1.000 rumänische Kinder zur Adoption ins Ausland freigegeben worden sein.

Auch die Brüsseler EU-Komission hat die rumänische Regierung inzwischen wegen ihrer Adoptionspraxis kritisiert. Ende Januar warf der EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen dem rumänischen Regierungschef Adrian Nastase in einem Brief vor, Rumänien erfülle die politischen Kriterien einer EU-Mitgliedschaft nicht und forderte die Regierung des Landes dazu auf, den Adoptionsstopp einzuhalten. Andernfalls müsse Rumänien EU-Hilfen zur Verbesserung der Situation von Heim- und Waisenkindern in Höhe von rund 60 Millionen Euro zurückzahlen.

Die rumänische Regierung hat sich zu den Vorwürfen von Emma Nicholson und der EU-Kommission bisher nicht klar geäußert. Nastase versprach jedoch, dem Europaparlament in Kürze den Entwurf eines Adoptionsgesetzes zu übermitteln. Der rumänische Staatspräsident Ion Iliescu bestätigte unterdessen nach einem Treffen mit Emma Nicholson, dass zahlreiche westeuropäische und besonders US-amerikanische Politiker in Adoptionsfragen persönlich bei ihm interveniert hätten.

Wörtlich sagte Iliescu, sogar US-Präsident Bush habe ihn persönlich darauf angesprochen, dass einige US-Senatoren die Lösung bestimmter Adoptionsangelegenheiten forderten. In Rumänien hat der dortige US-Botschafter Michael Guest in den vergangenen Jahren wiederholt öffentlich verlangt, dass Rumänien sein im Juni 2001 ausgesprochenes Adoptionsmoratorium rückgängig macht.

KENO VERSECK

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