Besuch aus Paris

Vive la France!

Seit mein Onkel aus Paris vor wenigen Tagen angefragt hatte, ob ich einer französischen Filmstudentin für acht Tage ein Dach über dem Kopf bieten könnte, zählten ich und mein Umfeld die Minuten bis zu ihrem Erscheinen. Für uns sah eine französische Filmstudentin automatisch aus wie Audrey Tautou. Undselbst wenn nicht, war ich mir sicher, dass es eine amüsante Zeit werden würde. Schließlich hat man mit jungen Touristen im Haus immer einen Vorwand, um mal wieder sämtliche Clubs der Stadt umzukrempeln.

Ich räumte mein Bett aus dem Schlafzimmer in das nicht viel mehr als einen begehbaren Kleiderschrank symbolisierende Zimmer ohne Fenster, kaufte eine etwas dünne Matratze und platzierte diese auf den Boden des nun leeren Raums. Meine auf eine Stippvisite erschienene Mutter quittierte meine Bedenken hinsichtlich des fehlenden Komforts kurz: „Die ist jung und will Künstlerin werden!“

Nun hieß es warten. Bis ich ihr die Tür öffnete, hatte ich so ziemlich alles erwartet, nur nicht daran gedacht, dass es auch Langzeitstudenten gibt. Und so stand ich vor einer penibel wirkenden älteren Dame im beigen Trenchcoat, die mir zur Begrüßung ein fröhliches „Hello. My English is so good!“ entgegenschmetterte. Meine Nachfrage, das fehlende „not“ betreffend, wurde bejaht. Gegen 19 Uhr erklärte die Filmstudentin, dass sie jeden Morgen um sechs aufstehe und daher jetzt zu Bett müsse. Da ich meist froh bin, wenn ich um sechs Uhr morgens schon zu Hause bin, schwante mir nichts Gutes. Ich beschloss, vorübergehend ins Hotel Mama zu ziehen und der Französin meine Wohnung zu überlassen. Leider fiel mir erst am Tag ihrer Abreise ein, dass ich ihr mein Bett hätte anbieten können. JURI STERNBURG