Ulla Schmidt ist des Kanzlers doppelte Buhfrau

Erst Gesundheitsreform, jetzt Renten – an allem muss Schröders Ministerin schuld sein. Dabei haben viele Alte gute Einnahmen

BERLIN taz ■ Kritiker der Agenda 2010 bekommen Oberwasser. Linke und/oder wahlkämpfende Sozialdemokraten sowie Sozialverbände nutzen den Umbau der SPD-Spitze, um zu fordern, dass der Umbau der Sozialsysteme abgefedert oder wenigstens verlangsamt wird. Der Präsident des Sozialverbands Deutschland etwa, Adolf Bauer, erkannte gestern „größeren Spielraum für Korrekturen“, insbesondere was die Belastung der Rentner angeht. Er habe „Signale aus der SPD“ empfangen.

Doch des einen Spielraum ist der anderen Folterkammer. Denn Gesundheits- und Rentenministerin Ulla Schmidt (SPD) kann unmöglich zurücknehmen, was mit der Gesundheitsreform bereits umgesetzt wird und im Übrigen von Rot-Grün und CDU und Bundesrat durchgewinkt wurde. Die verdoppelte Belastung der Betriebsrenten mit Kassenbeiträgen etwa soll schon dieses Jahr 1,6 Milliarden Euro bringen. Sonst müssten die Krankenkassenbeiträge um 0,16 Prozentpunkte steigen.

Nach allem Ärger über Praxisgebühr & Co wird Ulla Schmidt nun auch noch Zielscheibe der geballten Rentnerwut: Zu der doppelten Beitragszahlung von Betriebsrenten kommen der doppelte Pflegebeitrag und ab 2005 höhere Rentensteuern (s. Kasten). Und es ist noch nicht einmal klar, ob die Rente von morgen ein Mindestniveau haben wird! Klingt alles nicht gut. Obwohl all diese Probleme auf verschiedenen Misthaufen gewachsen sind, ist Schmidt spätestens jetzt die doppelte Buhfrau – auch wenn außer ihr die Union, das Bundesverfassungsgericht, Hans Eichel oder Gerhard Schröder schuld sind.

Für Letzteren ist Schmidt nur so lange nützlich, wie sie abfängt, was sonst ihn träfe. Umgekehrt heißt das auch, dass Schmidt für Schröder nicht nur unnütz, sondern gefährlich wird, wenn jemand auf die Idee kommt, den Kanzler erstens für Schmidt und zweitens für die so unstaatsmännischen Auswirkungen von Gesundheitsreform und Rentenkürzungen haftbar zu machen. Und so wird Schmidt wieder einmal als „Wackelkandidatin“ gehandelt – vermutlich erstmals zu Recht.

Diese Personalfragen haben jedoch nichts damit zu tun, welche Rentner von den gerade diskutierten Lasten betroffen sind – und wer sich überhaupt „zu Recht“ darüber aufregt. Zwar treffen die Aussetzung der Rentenerhöhung, Praxisgebühr und doppelter Pflegebeitrag alle Rentner gleichermaßen, gerade also die ärmeren – vor allem allein stehende Frauen im Osten. Doch die Belastung der Betriebsrenten und die Besteuerung von Renten treffen Menschen, die mehr haben als bloß eine gesetzliche Minirente. Deren Einkünfte sind in den vergangenen zwanzig Jahren satt angewachsen, während Familien ihre Einkommen so eben halten konnten.

Das Berliner Wirtschaftsforschungsinstitut DIW sagt dazu: Die meisten Rentner von heute sind so wohlhabend, dass man die Steuerbelastung noch weit schärfer und schneller einführen müsste als geplant – sonst würden vor allem jene am meisten betroffen, die heute schon zu kämpfen haben: jüngere Arbeitnehmer. ULRIKE WINKELMANN