Schnitzel, quo vadis?

Die „Gesellschaft der Schnitzelfreunde“ beklagt den Niedergang nicht nur der Panade

Einer unserer letzten Schnitzelkorrespondenten berichtete vor wenigen Tagen aus Fulda, er habe in einem renommierten Restaurant gelesen: „Schweineschnitzel Hamburger Art in seiner Panade aus der frisch geriebenen Weißbrotkruste“. Beim Eintreffen dieser Meldung entleibte sich gut die Hälfte des Vorstandes der „Gesellschaft der Schnitzelfreunde“ auf der Stelle, obwohl die Herren ihre Pilsener noch nicht ausgetrunken hatten. Etwas überzogen, wie ich finde. Aber durchaus eine Erwägung wert. Die Diskussion, wie es um den Niedergang unserer Schnitzelkultur bestellt sei, ist längst überfällig. Denn die weiß Gott offene „Gesellschaft der Schnitzelfreunde“ hat ihre Feinde.

Doch wer kann Interesse daran haben, das Schnitzel in seiner gesellschaftsregulierenden Form zu diskreditieren? Wer redet viel zu oft vom angeblichen „Verblendungszusammenhang Schnitzel – Pilsener“? Wer überschwemmt den Markt mit Putenschnitzeln und genmanipuliertem Paniermehl, mit Formfleisch und Cordon bleu, mit Koteletts, so geschmacklos wie angeklebte Haarquader vor Herrenohren? Wer vergleicht die Schnitzelform mit Österreich? Wer druckt die berüchtigten Kinderspeisekarten mit „Hähnchen-Nuggets“ und „Fischstäbchen“ und „Dinoschnitzel“? Die Schnitzelfeinde haben kein Gesicht.

Dabei inkorporiert die Panade die Essenz des Veredlungsgutes. Sie ist neben dem konsequenten Fleischverzicht die letzte Veredlungsform, die Schwein und Kalb als unermüdlichen Fleischlieferanten die Würde belässt, für eine ziemlich feine Sache gestorben zu sein. Schnitzelgoldbraun schimmert’s am Ende des Regenbogens. Die Furchen und Wölbungen der Panade versinnbildlichen das ewige Hoch und Runter des Lebens. Wünschen wir uns nicht auch eine knusprige Schutzhülle um unseren gebrechlichen Körper, die wir vielleicht von innen gierig abknabbern, um gestärkt und geläutert von Schönheit und Kraft dieser Speise den Anfeindungen des Draußen die Stirn zu bieten?

An der Fähigkeit, ein gescheites Schnitzel herzustellen, erkennen wir die Fähigkeit einer öffentlichen Küche, den Untergang des Abendlandes für die Zeit einer Mahlzeit aufzuhalten. Denn ein gutes Schnitzel, ein korrespondierendes Qualitätspilsener und verständige Damen sind die drei granitenen Grundpfeiler des Glücks, die Säulen des Himmels.

Der Schnitzelnotstand zu Franken im Jahr 2001 veranlasste den langjährigen Schriftleiter der vor wenigen Tagen eingestellten Zeitschrift Schnitzel today, Gert Ockert, zu deklamatorischen und schnitzelgnostischen Höhenflügen. Um leider zur resignierenden Einsicht zu gelangen, es gebe kein richtiges Schnitzel im falschen mehr. Das gescheite Schnitzel als Paradigma unbegrenzten Wohlbefindens habe in unserer hektischen und oberflächlichen Zeit ausgedient. Ein Paradigmenwechsel? Wohl doch.

Die Menschen haben sich vom Schnitzel abgewandt. Ungehört verhallt vielfach das letzte fröhliche Schnitzelklopfen in emsigen Landgasthöfen. Allerorten geraten empörte Schnitzelfreunde in arge Bedrängnis, erhalten unfreundliche Antworten, wenn sie die pappige Beschaffenheit der Panade oder sensorische Mängel vorsichtig kritisieren. Die Feinde des Schnitzels sind böse.

MICHAEL RUDOLF