BUNDESWEHREINSÄTZE: DAS PARLAMENT HAT SICH LÄNGST ENTMACHTET
: Grenzenloser Einsatz

Das vorläufige Scheitern der Gespräche über das so genannte Entsendegesetz schürt die Hoffnung, dass es in diesem Land doch noch eine politische Auseinandersetzung über die nicht ganz nebensächliche Frage künftiger Bundeswehreinsätze gibt. SPD und Grüne schrecken wohl davor zurück, das Parlament bei der Entscheidung über Krieg und Frieden per Gesetz völlig zu entmachten. Dennoch unterscheiden sich die Standpunkte von Rot-Grün und Union nur in Nuancen. Der Dissens beim Entsendegesetz ist nicht viel mehr als ein symbolischer Akt zur Beruhigung eigener Anhänger.

Denn unabhängig davon, ob künftig das Plenum oder – wie die Opposition es wünscht – nur ein spezieller Ausschuss bei Bundeswehreinsätzen mitreden darf, die Entscheidungsfreiheit des Bundestages wird politisch ohnehin stark eingeschränkt. Die Interventionstruppen der Bundeswehr werden künftig so stark in die Strukturen von Nato und EU eingebunden sein, dass über deren Einsatz faktisch in Brüsseler Ministerrunden entschieden wird. Der Druck auf den Bundestag, ein in Brüssel beschlossenes Mandat abzunicken, wird immens sein. Dies umso mehr, als innerhalb Europas eine stärkere Arbeitsteilung angestrebt wird, Einheiten der Bundeswehr also nicht einfach zu ersetzen sein werden.

Ginge es SPD und Grünen tatsächlich um eine effektive parlamentarische Kontrolle der Bundeswehr, müssten sie schon jetzt öffentlich darüber streiten, was für Einsätze die Bundeswehr künftig übernehmen soll. Vor allem geht es um jene 35.000 Soldaten in „Eingreifkräften“, deren Aufstellung für „Operationen hoher Intensität“ Peter Struck im Januar ankündigte – auf einer Pressekonferenz, nicht etwa im Bundestag. Sollen die „Eingreifkräfte“ demnächst zuschlagen, wenn irgendein Geheimdienst wieder einmal eine unmittelbare Bedrohung des Weltfriedens durch Atom-, Bio- oder Chemiewaffen feststellt? Oder sollen sie, gemäß dem Traum amerikanischer Neocons, mit Waffengewalt weltweit die Demokratie verbreiten? Diese Fragen gehören ins Parlament. Die Mehrheit der Abgeordneten, so scheint es, möchte aber gar nicht wissen, was die Bundeswehr künftig in aller Welt unternimmt. ERIC CHAUVISTRÉ