In Ruanda kehrt die Machete zurück

Zehn Jahre nach dem Völkermord erschüttert eine Serie brutaler Morde Ruanda. Mutmaßliche Täter des Genozids, die aus dem Gefängnis entlassen wurden, gehen mit Gewalt gegen Überlebende vor, die als Zeugen vor Dorfgerichten aussagen sollen

Die Leiche von Emile wurde im Fluss gefunden, an einen Baumstamm gekreuzigt

AUS KIGALI FRANÇOIS MISSER

Es war ein Mord nach bewährter Manier. Mit Macheten wurde Charles Rutinduka in Stücke gehackt, von Kopf bis Fuß. Seine Kinder mussten zusehen. Zunge und Geschlechtsteile wurden abgeschnitten. Den Völkermord von 1994 hatte Rutinduka überlebt. Dass er knapp zehn Jahre danach vor einem der neu eingerichteten Gacaca-Dorfgerichte in Ruanda über die damalige Ermordung seiner Familie aussagen wollte, überlebte er nicht.

Der Mord in Jenda in der südruandischen Präfektur Gikongoro geschah bereits in der Nacht zum 26. November, aber erst im Januar sagte Charles’ Witwe Jeanne darüber vor Gericht aus. Es ist nicht der einzige Mord an Völkermordüberlebenden in Ruanda zehn Jahre nach dem Genozid, bei dem radikale Milizen rund 800.000 Menschen töteten, zumeist Tutsi. Die Leiche von Emile Ndahimana wurde im Fluss Kigogo gefunden, an einen Baumstamm gekreuzigt. Nach Angaben des Völkermordüberlebendenverbandes „Ibuka“ war der Täter ein entflohener Völkermordhäftling aus dem Gefängnis von Gikongoro.

„Seit 1994 haben Morde an Völkermordüberlebenden nie aufgehört“, gibt Ruandas Generalstaatsanwalt Jean de Dieu Mucyo zu, selbst ein Überlebender des Genozids. Es habe mehrere Fälle von Vergiftung gegeben. Von einer Welle von Morden will er aber nicht reden, um keine Ängste zu schüren. Doch Ibuka-Chef Benoït Kabuyi weist darauf hin, dass in der Präfektur Gikongoro besonders viele solche Fälle vorgekommen sind – vom Mord an der Sängerin und Witwe Séraphine Mukashyaka im Jahr 2000 bis zur Tötung von Jean-Paul Twagiramungu, Sohn eines vor einem Gacaca-Gericht zur Aussage bereiten Hutu, am 4. Oktober 2003, und dann eben den jüngsten brutalen Hinrichtungen.

Die Gacaca-Gerichte wurden in Ruanda vor zwei Jahren eingeführt, um die überfüllten Gefängnisse und die überforderte reguläre Gerichtsbarkeit zu entlasten. In jeder Gemeinde soll sich die Bevölkerung versammeln, mutmaßliche Täter und Überlebende sollen ihre Geschichten konfrontieren und gewählte Laienrichter dann über die Schuld und die eventuelle Weiterbehandlung des Falls entscheiden. In rund einem Zehntel Ruandas hat es bereits Probeläufe gegeben; die landesweite Einführung des Gacaca-Verfahrens wird immer wieder verschoben und ist nun für Mai geplant. In Erwartung eines Gacaca-Prozesses entließ Ruandas Regierung letztes Jahr über 24.000 Häftlinge aus den Gefängnissen und schickte sie nach einer dreimonatigen Resozialisierung in ihre Heimatdörfer zurück.

Weil die Gacaca-Prozedur sich hinzieht, leben nun viele mutmaßliche Täter von 1994 unbehelligt neben den Hinterbliebenen ihrer Opfer in den Dörfern. Das sorgt für ein Klima der Angst, analysiert der Übelebendenverband „Ibuka“. Viele Überlebende seien vor den freigelassenen Häftlingen aus ihren Heimatgemeinden geflohen. Anderen werden die Häuser mit Steinen beworfen, wenn sie vor einem Gacaca-Gericht aussagen, berichtet Aurea Kayingwa, Juristin beim Völkermordwitwenverband „Avega“. Es gibt auch viele tätliche Übergriffe, die ungeahndet bleiben. Ein westlicher Diplomat in Kigali weiß von einem Chirurgen, in dessen Praxis regelmäßig Menschen mit Machetenwunden kommen – sie trauen sich aber nicht, Anzeige zu erstatten.

Für Charles Ingabile, der beim Genozid 1994 im Alter von 13 Jahren zur Waise wurde, ist das ganze staatliche Verfahren – Freilassung von Untersuchungshäftlingen und Klärung vor dem Dorfgericht – unsinnig: „Wir werden vor den Gacaca-Gerichten aussagen. Aber das nützt nichts, weil die Regierung die Völkermörder einfach freilässt. Wir begegnen auf der Straße Menschen, die unsere Verwandten umgebracht haben. Es tut weh, sie frei herumlaufen zu sehen.“ Die Stimmung in der Präfektur Gikongoro an der Grenze zu Burundi sei sehr aufgeladen, erzählt er. Die Leute in den Dörfern grüßen sich nicht mehr. „Das ist ein großes Alarmzeichen. Wenn man sich nicht einmal mehr Guten Tag sagt, gibt es Konflikt.“

Die jüngsten Morde in Gikongoro kamen immerhin vor ein reguläres Gericht. Zwei Täter wurden zu lebenslanger Haft verurteilt. Aber Beobachter äußern sich dennoch kritisch. Der NGO-Verband PAPG (Projekt der Unterstützung für den Gacaca-Prozess) spricht von staatlichem „Schweigen“ gegenüber der „systematischen Auslöschung unbequemer Zeugen“ vor dem landesweiten Beginn der Gacaca-Tribunale.

„Ob mit oder ohne Gacaca – Zeugen sind immer unbequem“, resümiert Ibuka-Chef Kabuyi. „Also werden sie aus dem Weg geräumt und terrorisiert. Es werden sogar Pamphlete verteilt. Da steht drin, gerichtet an Überlebende und Zeugen: Ihr habt gesehen, was passiert ist – wenn ihr uns weiter stört, seid ihr die Nächsten.“