Ticket für den Arzt

Nach dem Willen der Rürup-Kommission sollen die Patienten für jeden Praxisbesuch 15 Euro zahlen

von ULRIKE WINKELMANN

Die Rürup-Kommission zur Sanierung der Sozialsysteme hat Vorschläge vorgelegt, die im Gesundheitswesen 24 Milliarden Euro einsparen sollen. Unter anderem empfiehlt die Kommission eine Praxisgebühr von 15 Euro – nicht allerdings für Kinder und chronisch kranke Patienten, auch nicht bei Unfällen und Vorsorgeuntersuchungen.

Darüber hinaus rät die Kommission der Regierung, die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung komplett umzubauen. Für diesen Umbau wird die Kommission bis zum Mai zwei Alternativen ausarbeiten, zwischen denen die Politik sich dann entscheiden darf. Zur Auswahl steht einerseits das Modell einer Kopfpauschale, die für Klein- und Großverdiener gleich hoch ist, und andererseits eine Ausweitung der Versicherungspflicht auf alle Erwerbstätigen.

Das Y-Modell

Gestern erklärten der Kommissionschef Bert Rürup und sein Gegenspieler Karl Lauterbach, wie man sich solch ein kombiniertes Reformkonzept aus Sparen und Umbau vorzustellen hat: Wie ein Y – der Stamm sei das kurzfristige Sparpaket, die beiden Arme die langfristigen Alternativvorschläge von Rürup und Lauterbach.

„Über den Stamm des Y“, sagte Rürup, „besteht in der Kommission Einigkeit.“ Die Sparmaßnahmen könnten am 1. Januar 2004 in Kraft treten und die Kassenbeiträge um 2,4 Prozentpunkte verringern. Der durchschnittliche Beitragssatz liegt derzeit bei 14,4 Prozent, Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat als Zielmarke der Gesundheitsreform „unter 13 Prozent“ genannt. Diese Marke wäre mit den Rürup-Vorschlägen also zu erreichen, selbst wenn die Beiträge in diesem Jahr weiter ansteigen.

Das Sparpaket

Das Sparpaket umfasst zum einen Maßnahmen, die von der Bundesregierung längst angepeilt werden. So sollen die Arbeitnehmer ihr Krankengeld künftig allein absichern, ohne Arbeitgeberanteil (erhoffte Sparwirkung: 7,5 Milliarden Euro). Schwangerschafts-, Mutterschutz- und Sterbegeld sollen nicht mehr von den Kassen, sondern von den Steuerzahlern aufgebracht werden (4,5 Milliarden Euro).

Darüber hinaus empfiehlt die Kommission, Patienten heftig zur Kasse zu bitten (10 Milliarden Euro). „Die 560 Millionen Arztbesuche pro Jahr in Deutschland können mit einer Praxisgebühr von 15 Euro gesenkt werden“, sagte Rürup in Anspielung auf die weltweit höchste Zahl an Arztbesuchen pro Kopf. Medikamente, die nicht verschreibungspflichtig sind, sollten die Patienten selbst bezahlen, Zahnersatz zu einem größeren Teil als bisher. Zusätzlich sollten Arzneimittel, die nicht mehr patentgeschützt sind, billiger werden (2 Milliarden Euro). Außerdem verlangt die Kommission „den Abbau von Sonderregelungen“, etwa des Beihilfesystems für Beamte.

Zwei Vorschläge

Die beiden Arme des Y freilich bereiteten gestern eine gewisse Enttäuschung. Schließlich hatte es im Vorfeld geheißen, dass Rürup und Lauterbach sich auf einen gemeinsamen Vorschlag einigen würden. Dann hätte die Kommission ein gerades I oder, na ja, ein rundes O präsentieren können. Auch Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) hatte den beiden Kontrahenten nahe gelegt, einen „Kompromiss“ vorzulegen – wenn die Herren denn bei der anstehenden Gesundheitsreform Beachtung finden wollten.

Nein, verkündeten Rürup und Lauterbach gestern, so geht das nicht. „Zwischen unseren beiden Vorschlägen gibt es keine Zwischenlösung“, sagte Lauterbach. „Mischmodelle sind schlechter als das eine oder das andere Modell.“ Die Kommission habe beschlossen, dass es sich bei der Entscheidung zwischen den beiden gleichrangigen Varianten um „eine Wertentscheidung handelt, die nur von der Politik getroffen werden kann“, erklärte Rürup.

Kopfpauschalen

Rürups Modell der Kopfpauschalen baut darauf, dass durch eine Abschaffung der lohnbezogenen Kassenbeiträge die Lohnnebenkosten so gesenkt werden können, dass sofort wirtschaftliches Wachstum entsteht. Fürs Ausbügeln der sozialen Ungleichheiten sei dann der Fiskus zuständig. „So gesehen vertraue ich auf die Umverteilung durch den Staat“, gab Rürup zu.

Das Kopfpauschalen-Modell sieht vor, dass alle Krankenkassen, die gesetzlichen wie die privaten, schlicht alle entstehenden Kosten durch die Zahl der Mitglieder teilen. Dadurch entstehe eine Kopfprämie von 170 bis 220 Euro pro Monat. Kinder müssten nicht zahlen, und Erziehende könnten zusätzlich steuerlich begünstigt werden. Die notwendigen Steuermittel von etwa 20 Milliarden Euro erwüchsen aus dem Wirtschaftswachstum, das aus Einführung der Kopfprämien resultiere.

Breitere Basis

Lauterbach dagegen will einen „konsequenten Ausbau des beitragsfinanzierten Systems“, wie er es nannte. Demnach würden die Kassenbeiträge nicht mehr vom Arbeitslohn, sondern von allen Einkommenyarten abgezogen – auch von Mieten, Zinsen und anderen Kapitaleinkünften. Außerdem sollten Beamte und Selbstständige ebenfalls in die gesetzliche Krankenversicherung einbezogen werden, die dadurch zu einer „Erwerbstätigenversicherung“ ausgebaut würde. Die Privatkassen dürften demnach nur noch Luxusleistungen versichern. Fürs medizinisch Notwendige gäbe es nur noch die gesetzlichen Kassen.

Und sonst?

Bert Rürup wie Karl Lauterbach mahnten gestern, die Politik müsse schnell entscheiden. „Sonst riskieren wir, dass das gegenwärtige System geschreddert wird“, sagte Rürup. „Keiner von uns will, dass die Leistungen der Krankenkassen weiter beschnitten werden.“