Mit dem Pick-up zum Plündern

Die Bagdader räumen nicht nur Lagerhallen leer, sondern treten auch die Bilder Saddam Husseins in den Staub. Dies ist eine Schlüsselszene für die Araber: Denn ein größerers Zeichen für Erniedrigung gibt es nicht

KAIRO taz ■ Abgetaucht ist über Nacht in Bagdad nicht nur die irakische Führung. Verschwunden sind auch all ihre Anhänger, die Mitglieder der Baath-Partei und der Republikanischen Garden. Alle staatlichen Institutionen haben aufgehört zu arbeiten.

Stattdessen arbeiten sich seit den Morgenstunden amerikanische Panzer langsam in den verschiedenen Viertel der Stadt vor. Dabei stoßen sie nur noch auf sporadischen Widerstand – häufig sind es vereinzelte Scharfschützen. Die meisten gerade erst aufgebauten Sandsackpositionen liegen verlassen da. „Die Hauptstadt gehört nun zu den Städten, über die das Regime keine Kontrolle hat“, verkündet der Sprecher im US-Zentralkommando in Katar, Vincent Brooks, kurz darauf selbstbewusst. Gleichzeitig warnt er jedoch vor der Ansicht, dass der Krieg nun zu Ende sei.

Ein erstes Anzeichen dafür, dass das Regime die Kontrolle über die Stadt verloren oder aufgegeben hat, liefern bereits am Morgen Journalisten in Bagdad, die berichten, dass ihre üblichen Begleiter des Informationsministeriums nicht zur Arbeit erschienen seien. Etwa zur gleichen Zeit rollen die ersten Panzer im Nordosten der Stadt nach Saddam City, ein Slumviertel der Stadt, in dem über eine Millionen Menschen wohnen. Bereits vor dem Krieg wurde spekuliert, ob in diesem überwiegend schiitische Viertel ein Aufstand gegen Saddam Hussein beginnen könnte. Daher war es wenig verwunderlich, dass die US-Panzer dort freundlich begrüßt wurden.

Kurz darauf nehmen vorwiegend Jugendliche, aber auch einige ältere Einwohner des Viertels die Dinge buchstäblich selbst in die Hand. Mit ihren privaten Waffen, die sie schnell aus den Häusern geholt hatten, ziehen sie durch die Straßen. Andere begeben sich zu dem lokalen Quartier der Bath-Partei und zu anderen militärischen Einrichtungen und staatlichen Gebäuden und bedienen sich selbst. Alles was nicht niet- und nagelfest war, wird mitgenommen und auf Pick-up-Lastwagen oder auch in den Kofferraum verladen. Wer kein Auto hat, machte sich mit dem Eselkarren oder zu Fuß auf den Weg.

Die Plünderungen weiteten sich bald auch auf andere Stellen außerhalb von Saddam City aus. Aus den Lagerhallen des Handelsministeriums wurden von Klimaanlagen die Deckenventilatoren abmontiert. Die Lagerhallen liegen in der Palästinastraße in einem vornehmlich von Sunniten bewohnten Viertel, das an Saddam City angrenzt. Dort hatte die Baath-Partei noch vor vier Wochen mehrere tausend Anhänger zur Demonstration ihrer Macht mobilisiert.

Saddam Husseins überall in der Stadt präsentes Bild wird nun von Unzähligen in den Staub getreten und verflucht. Stündlich zeigt der Fernsehsender al-Dschasira die Einstellung eines Mannes, der mit einer Hand ein Poster Husseins hält, mit der anderen seinen Schuh auszieht und hysterisch „das ist für diesen Kriminellen“ schreit, bevor er mit dem Schuh auf das Bild einschlägt. Andere machen es ihm sofort nach oder spucken auf das Konterfei des lächelnden Diktators. Dass ein Iraker sich dies inmitten der Hauptstadt erlauben kann, ist eine Schlüsselszene. Für Araber gilt es als einer der größten Erniedrigungen, mit der Sohle eines Schuhs geschlagen zu werden, der zuvor den dreckigen Staub berührt hat.

Bis zum frühen Nachmittag rückten die amerikanischen Panzer dann auch unbehelligt ins Handelszentrum der Stadt, das auf dem östlichen Tigrisufer liegt. Al-Dschasira zeigte erste Bilder von US Marines, die aus ihren gepanzerten Wagen herausgekommen und ohne weitere Deckung mitten auf einer der Schnellstraßen patrouillierten. Links und rechts davon läuft der Verkehr vollkommen normal weiter.

Kurz darauf fahren die ersten amerikanischen Einheiten medienwirksam vor dem Hotel Palestine vor, jenem Ort, an dem die meisten ausländischen Journalisten untergebracht sind. Innerhalb von Minuten sind die Panzer und gepanzerten Truppentransporter von Journalisten umringt. Bald darauf steigen die ersten auf einen Panzer, um von dort zu filmen. Nur vereinzelt kommen hier ein paar Bagdader selbst aus den Häusern und schwenken ihre T-Shirts in Richtung der amerikanischen Soldaten. Über dem Ganzen erhebt sich zu diesem Zeitpunkt noch väterlich eine übermannsgroße Statue Saddam Husseins und grüßt mit erhobenem Arm die neuen Eroberer Bagdads. KARIM EL-GAWHARY