Grazile Speere

Atmend wie menschliche Körper: George Rickeys kinetische Skulpturen im Museum für Kunst und Gewerbe

Rechtecke, Dreiecke, Kreise oder eine gerade Linie: Die Formensprache des 2002 verstorbenen US-amerikanischen Bildhauers George Rickey ist spartanisch. Aus poliertem Edelstahl fertigt Rickey seine kinetischen Objekte, kleine und große bewegliche Skulpturen, die streng geometrisch aufgebaut sind.

Und wären in der aktuellen Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe nicht kleine Ventilatoren aufgestellt, man könnte glauben, man hätte es mit tonnenschweren Skulptur- Ungetümern zu tun. Doch die Leichtigkeit des Mit- und Gegeneinander der in der Sonne glänzenden Einzelformen verrät, wie filigran die Werke des documenta IV -Teilnehmers gearbeitet sein müssen. Hauchdünne Metallplatten betrügen das Betrachterauge: Schwer und erdverbunden sehen die Objekte aus – und erst in der Bewegung verraten sie ihren wirklichen Charakter.

Die in Zusammenarbeit mit der Berlinischen Galerie entstandene Ausstellung zeigt über zwanzig Werke aus den Jahren 1964 bis 2001, die auch als Kommentare auf die in der Designwelt immer wieder diskutierte Frage bestaunt werden dürfen, wieviel Vereinfachung einer Form gut zu Gesicht steht. Single Line (1964) oder One line down (1976) etwa sind in ihrer Einfachheit berauschend: grazile Metallstäbe, Fühler oder Speere, die sich im Wind um einen unsichtbaren Energiepunkt drehen.

Doch bei aller Strenge haben viele der Arbeiten einen zarten, beinahe lyrischen Charakter. Und die Stetigkeit, mit der sich die silbern glänzenden Metallobjekte bewegen, lässt den Besucher zur Ruhe kommen. Fast wie sanft ein- und ausatmende menschliche Körper muten sie an. „Schwingen, Kreisen, Pendeln, Vibrieren von Teilen, die sich durch den Raum bewegen –auf und ab, hin und her, einmal rechts, einmal links – und die Betonung dieser Bewegungen durch Beschleunigen und Verlangsamen ...“ – so fasste Rickey das Bewegungsrepertoire seiner Skulpturen einmal zusammen.

Dass Rickey nicht nur im großen Format arbeiten kann, zeigen seine kleinen Schmuckentwürfe aus Edelstahldraht: Diesen biegt er zu verspielten Jugendstil-Linien und lässt aus ihnen Halsketten oder Ohrringe wachsen. Nur einen „Dorn im Ohr“ hat die Ausstellung: Dass Rickeys ruhebedürftige Objekte dem monotonen Dance-Pop-Dröhnen der „One-Man-Show der Herrenmode“ im Nebenraum ausgesetzt werden, tut ihnen nicht gut.

Marc Peschke

Bis 4. Mai, Di–So 10–18 Uhr, Do bis 21 Uhr; Museum für Kunst und Gewerbe