urdrüs wahre kolumne
: Milzbrandalarm

Wohl nur Fußballfreunde aus der alten Oberliga-Erlebnisgeneration erinnern sich heute noch jener Zeiten, da der Bremer SV in Walle mit dem SV Werder auf Augenhöhe agierte und das Lokalduell beider Mannschaften zum Straßenfeger wurde. Während inzwischen im Weserstadion alle zivilisatorischen Untugenden der Neuzeit von Sitz-Zwang bis Vip-Loge Einzug gehalten haben, herrscht auf dem Dedesdorfer Platz noch der Charme jener Jahre, da befreundete Schlachtermeister die siegreichen Kicker mit Mettbrötchen traktierten und der Vereinswirt den wohlgefüllten Stiefel kreisen ließ.

Im Vereinsheim sind Knipp, Labskaus und Bauernfrühstück immer noch wohlfeil zu haben, während es aus den Adidas-Taschen unterm Tisch nach ehrlichem Männerschweiß riecht. Solch ein Idyll ist den an dieser Stelle immer wieder der virtuosen Gedankenlosigkeit geziehenen Planerzunft natürlich ein Dorn im Auge, und so soll der Dedesdorfer Platz jetzt allen Protesten aus Verein, Ortsamt, Beirat und Bevölkerung zum Trotz „verdichteter Bebauung“ weichen – und das perverse „Optimierungsprogramm“ des Bauressorts ist auch der Grund, warum man Stehtribüne und Umkleidebaracke seitens der öffentlichen Hand vergammeln lässt: Hier soll der Zahn der Zeit in wenigen Jahren reißen, was dieses Bollwerk proletarischer Stadtteilkultur über Generationen ausgemacht hat. Nach der Vertreibung der BSV-Kicker zum Hohweg aber geht dort die nächste Runde des Kleingärtner-Bashing los: Grund genug, auf den Tisch zu hauen und der Tine Wischer-Bande in die blasierten Gesichter hinein zu schreien: Von uns gibt’s freiwillig keine Postkartenfläche mehr für euren Unfug – holt’s euch, wenn ihr Ärger wollt!

Nun weiß ich natürlich, dass es Herrchens und Frauchens gibt, die mit ihren Hunden das Bettchen teilen – unbekannt aber war mir bislang das Phänomen des gemeinsamen Speisenapfes. Vor der Eisdiele verzehrt also Frauchen ihren Früchtebecher mit Vanille, und nach jedem eingeschaufelten Löffelchen bietet sie auch dem zu ihren Füßen hockenden Dackel ein Portiönchen aus dem Becher an. Die unmündige Kreatur schleckt das Eis mit Eifer, pult dann aber mit seiner rosa Zunge regelmäßig die Ananas- und Kirschbrocken heraus und schiebt sie durch das Schnäuzchen auf das Pflaster. „Ja will mein Waldi-Schatz denn gar nichts von den leckeren Vitaminen haben?“, mahnt sie fragend, doch der schaut nur hechelnd auf die restlichen Vanillekugeln: Soll Frauchen das Zeug doch vom Boden schlecken, wenn sie schon so scharf darauf ist!

Erst nachträglich aufmerksam wurde ich auf ein Seminar-Wochenende für Frauen unter dem Motto „Weiblichkeit ist unwiderstehlich“, das so ganz und gar meine fraulichen Anteile ansprach: „Eine Reise uns zu verbinden mit den Quellen unserer Weiblichkeit. Laut und leise/ruhig und bewegt/am Ende der Reise/angekommen bei uns selbst.“ Klingt wie HERR DER RINGE/female version. Ein Veranstalter war auf dem einladenden Faltblatt nicht genannt – vielleicht war es die durch und durch weibliche Runde, die neckisch auf den CDU-Plakaten appelliert: „Starke Frauen wählen“.

Dem Milzbrand-Alarm im Postverteilungszentrum Pattensen fiel am Mittwoch auch meine taz zum Opfer, die über diesen Weg in mein Heimatstädtchen Rinteln kommt. Angesichts der großen Ungerechtigkeiten dieser Welt mag das den Kräften wütender Empörung nur als kleines Ungemach gelten – für die Zukunft aber bitte ich die dahinterstehenden Rebellen allerherzlichst, von Eingriffen in den Post- und Eisenbahnverkehr abzusehen: Gibt doch soviel andere schöne Angriffsziele, wo man im Vorhinein nicht so besorgt sein muss um Kollateralschäden bei Unschuldigen – man denke nur an all die Liebesbriefe, die womöglich ihr Ziel zu spät erreichen, mahnt freundlichst Ulrich
„Amor“ Reineking