: Tanz mit! Das bringt Glück!
„Der unglücklichste Tag in ihrem Leben.“ Für eine hinduistische Braut ist das ein Kompliment. Die Braut ist schön und traurig, während die Festgesellschaft jubelt
AUS DELHI JUDITH LUIG
„Wir haben die Ehre“, hatte auf der handgeschöpften Einladungskarte gestanden, „Ihre huldvolle Anwesenheit um drei Uhr zu erbitten.“ Leider scheint der Onkel, der uns abholt, davon nichts zu wissen. „Ich mach noch einen kurzen Besuch“, erklärt er und lässt uns drei Stunden in der Nachmittagshitze auf dem Rücksitz seines Wagens schmoren. Als wir endlich in der Vorstadt Delhis ankommen, sind wir wenig huldvoll gelaunt. Ich bin ohnehin ein bisschen nervös, schließlich kennt meine Freundin Delia die Kapoors kaum, und wir sind eigentlich nur eingeladen worden, weil wir ohnehin gerade in Indien Urlaub machen. Doch die Schwester des Bräutigams macht mit ihrem Strahlen den Ärger wett. „Ich bin so froh, dass ihr endlich da seid“, freut sich Ekta, „ihr seid doch unsere internationalen Gäste!“
Der Ladies Sangeet ist der Auftakt für die Hochzeit. Als wir eintreffen, sind bereits alle Teppiche, die man in Garten und Hof ausgelegt hat, mit trommelnden und singenden Frauen jeder Gewichts- und Altersklasse besetzt. „Ihr müsst tanzen, das bringt dem jungen Paar Glück“, erklärt uns Ekta und zieht uns in die Mitte des Lagers.
Nach einiger Zeit des Hüftenschwingens und Armruderns vor den belustigten Gästen dürfen wir etwas essen und werden ausgefragt. „Bist du verheiratet?“, will eine verschwitzte Tante im grünen Sari von Delia wissen. Meine Freundin beißt sich auf die Lippen. „Soll ich ihr sagen, dass mein Freund ein Feigling ist?“, fragt sie mich auf Deutsch. Das Thema Hochzeit verfolgt uns seit Beginn der Reise. Sie will, er weiß es nicht.
Um eine öffentliche Diskussion der Problematik zu vermeiden, sage ich auf Englisch: „Wir sind beide ledig.“ – „Und wie alt bist du?“ – „29.“ „Oh“, ein Raunen geht durch die Runde, das nichts Gutes für mich bedeuten kann. „Hast du Brüder?“ – „Nein, zwei Schwestern.“ – „Und sind die verheiratet?“ – „Eine ja, die andere nicht.“ – „Hm.“ Betretenes Schweigen. „Der arme Vater“, murmelt jemand. „In Deutschland brauchen Frauen keine Mitgift“, verteidige ich mich. „Was?“, ereifert sich eine frisch verheiratete Cousine. „Die armen Mädchen!“ Danach scheint man genug vom Kulturaustausch zu haben und widmet sich lieber den gerade eingetroffenen Mehendi-Künstlern. „Unsere Gesellschaft ist patriarchalisch“, erklärt mir Ekta. „Väter bedeuten bei uns alles.“ Deswegen ist für sie die Hochzeit ihres kleinen Bruders auch eine so wunderbare Sache. „Endlich bin ich wieder Tochter im Haus meines Vaters und nicht mehr nur Schwiegertochter.“
Am nächsten Tag ist die Trauung. Abhilesh reitet im Baraat, dekoriert wie eine Kokosmakrone. Seine Familie ist außer sich vor Freude. „Ihr seht toll aus“, lobt Ekta unsere indischen Kleider, „kommt tanzen!“ Die Blaskapelle in Fantasiekolonialuniformen spielt, und wir versuchen, würdige Statisten für Bollywood zu mimen.
Tanzend erreichen wir den „Wedding Parlour“, der sich als Festplatz herausstellt. Ein lächelnder, steinerner Gott Ganesha, dessen Elefantenkopf mit Blumengirlanden geschmückt ist, begrüßt uns am Eingang. Ein ebenfalls lächelnder Kellner in Sarottimohrkostüm reicht uns Cola – Alkohol trinken Hindus nicht. Die ersten dreihundert Gäste sind schon da.
Abhilesh erwartet seine Braut auf der Tribüne. „Komal ist so blass wie du“, hatte Abhileshs Schwester mir vermutlich als Kompliment für Braut und mich zugeraunt. Und sie hat Recht. Komals ernstes Gesicht mit schmalen, dunkelroten Lippen und der kleinen goldenen Schnur von ihrem Nasenring bis zu ihrem tiefroten Brautschleier strahlt weiß wie Marmor. Verwandte hieven die junge Frau auf die Bühne und bringen sie vor den samtenen Thron. Unter dem Jubel der Gäste werden die Brautleute von ihren Verwandten wie Puppen hochgehoben. „Los, die Girlanden!“, schreit ein vorwitziger Neffe, und Abhilesh und Komal werfen sich gegenseitig orangefarbene Blumengirlanden über den Kopf.
Es ist das dritte Mal, dass sich das Brautpaar trifft. Beim ersten Mal wurde die Hochzeit besiegelt, beim zweiten Mal, ein paar Wochen später, wurde Verlobung gefeiert. Seitdem ist ein halbes Jahr vergangen. Sechs Monate, die Abhilesh in den USA verbracht hat, wo er seit sieben Jahren lebt. Sechs Monate, in denen Komal versucht hat, Englisch zu lernen und ein Visum zu bekommen. Beides bislang ohne Erfolg.
„Kommt tanzen, das bringt Glück!“, ruft uns Abhileshs Schwester zu und zerrt uns auf die leere Diskobühne. Zwei Männer mit einer Fernsehkamera folgen uns. Fotografen machen Fotos. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich angenommen, wir seien tatsächlich so etwas wie Gäste auf der Hochzeit. Ich hatte sogar befürchtet, unser Tourismus in Volksnähe könnte uns verübelt werden. Allmählich beginnt mir jedoch zu dämmern, dass auch Abhileshs Familie von uns profitiert. Wir sind so etwas wie auf einer englischen Hochzeit „etwas Altes, etwas Neues, etwas Geborgtes, etwas Blaues“. Wir sind Glücksbringer!
Meine Freundin Delia scheint ein ähnliches Gefühl zu haben. „Der weiße Elefant ist müde“, raunt sie mir zu. Wir setzen uns an einen Tisch, an dem schon eine ganze Menge Frauen eifrig die Details der Feier diskutieren. „Schau nur, wie traurig Komal ist“, sagt eine Frau ganz stolz, und alle blicken rüber zur Tribüne auf die reglose Braut, die gerade mit weiteren Gästen fotografiert wird. Je trauriger, desto besser, erklärt man uns, so wolle es der Ritus. „Eine Braut darf nicht im Mindesten zeigen, dass sie sich über die Hochzeit freut. Das wäre undankbar ihren Eltern gegenüber.“
Wir beginnen ein Gespräch mit einer Frau in unserem Alter in einem auffallend raffinierten Seidensari. Sie ist auch eine Kapoor. Noch. In ein paar Wochen wird Sonia Satyen heiraten und dann zu seiner Familie gehören.
Eigentlich hatte Sonia für sich selbst die Hochzeitspläne bereits aufgegeben, erzählt sie. Sie ist Modedesignerin und liebt ihren Beruf genauso wie ihre Freiheit und ihre Familie. 26-mal hatten ihre Eltern Bewerber in ihr Haus am Rande der Lodi-Gärten eingeladen. 26-mal hat Sonia dankend abgelehnt. Doch dann ist ihr Vater gestorben, und ihr Bruder hat geheiratet und in ihrem Elternhaus eine neue Familie gegründet.
Also hat sich Sonia zu einer neuen Bewerberrunde entschlossen. Kandidat Nummer vier ist es geworden. „Ich habe beim ersten Date Kaffee über seine Hose gegossen, als ich ganz aufgeregt etwas erzählte.“ Satyen war nicht sauer. Im Gegenteil, er hat gelacht – und gewonnen.
In ihrer neuen Familie hat sich Sonia vor allem in ihre Schwägerin verliebt. Prabha ist im gleichen Alter wie Sonia, doch sie hat eine chronische Krankheit, die sie auf dem Heiratsmarkt unvermittelbar macht. „Also kann sie sich benehmen, wie sie will. Sie hat alle Freiheiten.“ Sie könne auch einen Guy haben, einen Freund, erklärt Sonia, und fast klingt es ein bisschen neidisch.
Inzwischen ist es kalt geworden, die Gäste sind gegangen, noch bevor die Trauung stattgefunden hat. Der Guru hat vier Uhr nachts als Glück bringenden Termin für die Zeremonie ermittelt. Wir versammeln uns pünktlich um ein kleines Zelt. Die Kapoors entschließen sich, Komals Vornamen nicht zu ändern. Der Guru murmelt, das Paar schreitet siebenmal ums Feuer, und die Familie unterhält sich ungestört weiter, albert herum, trinkt Kaffee, der von kostümierten Dienern gebracht wird.
Nach der Trauung fallen sich die Eltern freudig um den Hals, Verwandte küssen sich, und alles gratuliert einander zu der gelungen Hochzeit. Jetzt fehlt nur noch das „Dolly“. Komals Vater schleppt zwei schwere Schalenkoffer an. Darin ist alles, was Komal besitzt. Noch in dieser Nacht wird sie bei ihrer neuen Familie einziehen. Herr Kapoor beginnt, seinen Jeep zu beladen.
Komal liegt inzwischen in den Armen ihrer Geschwister, gestützt von Onkel und Mutter, und weint bitterlich. Ekta ist höchst zufrieden. „Ach, ich habe erst geweint!“, erklärt sie. Nur Delia und ich sind ein bissschen beunruhigt, und auch Abhilesh scheint für eine Sekunde nicht sicher zu sein, ob seine zerfließende Braut Glück bringend dem Ritus folgt oder wirklich todunglücklich ist. „Was macht er nur mit ihr, wenn sie gar nicht mehr aufhört?“, fragt Delia.
Sonia scheint in Gedanken. „Wie ist das eigentlich in Deutschland mit den Hochzeiten?“, will sie wissen. In Indien läuft schließlich alles über die Familie; wer nicht heiratet, ist irgendwann nur noch eine Tante, die mitgeschleift wird. „Na ja“, erklärt Delia, „man lernt jemanden kennen, dann verliebt man sich, und dann heiratet man …“ Sie muss schlucken. „… wenn man will.“ Sonia scheint die Antwort nicht zu befriedigen. Sie überlegt ein bisschen. „Und was ist, wenn man sich nicht verliebt?“
JUDITH LUIG, 29, ist Redakteurin im taz.mag
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen