Minimale Erschütterungen

Es gibt sie, die Gravitation. Doch bisher gelang es den Physikern nicht, sie auch nachzuweisen. Mit neuen Messsystemen versuchen Forscher jetzt der geheimnisvollen Kraft auf die Spur zu kommen

von KENO VERSECK

Sie ist die schwächste aller bekannten fundamentalen Kräfte in der Natur, und doch hält nur sie das Universum zusammen. Sie ist allgegenwärtig, tritt aber mit kaum etwas in Wechselwirkung. Es gibt sie zweifellos, doch der Nachweis ihrer Beschaffenheit bereitet Physikern seit langem Kopfzerbrechen: die Gravitation – die Schwerkraft, die Materie ausübt.

Anders als beispielsweise der Elektromagnetismus entzieht sie sich hartnäckig allen Versuchen einer „Quantisierung“, wie es im wissenschaftlichen Slang heißt. Es gibt keine schlüssige Theorie der Gravitation, die sowohl im Großen wie im Kleinen, im Kosmos und auf der Ebene der Elementarteilchen, gültig wäre. Kein Forscher hat bisher Gravitationswellen aufgespürt, Wellen, die jedes Stück asymmetrisch bewegte Materie im Universum aussendet und die – ähnlich, wie ein ins Wasser fallender Stein Wellen erzeugt – den Raum „kräuseln“. Und erst recht hat bisher kein Forscher Gravitonen nachgewiesen, die hypothetischen Trägerteilchen der Schwerkraft.

Gelänge es Gravitationswellen, die Albert Einstein 1916 in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie voraussagte, zu messen, dann könnten Wissenschaftler wesentlich mehr über den Ursprung, die Struktur und die Entwicklung des Universums aussagen als bisher. Und der Nachweis von Gravitonen wäre ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur so genannten Weltformel über das Universum, an der Physiker und Mathematiker seit Jahrzehnten basteln.

Doch während niemand weiß, wie Gravitonen „aufgefangen“ werden sollen, könnten immerhin Gravitationswellen bald registriert werden. Seit Jahren bauen Wissenschaftler an einem Netzwerk von Gravitationswellendetektoren, darunter in den USA, Japan, Italien und Deutschland. Letztes Jahr etwa wurde bei Hannover der Detektor GEO 600 in Betrieb genommen, im Jahr zuvor begann der Ligo-Detektor in den USA seine Testphase, seit kurzer Zeit arbeitet er regulär.

Seit Februar laufen auch die ersten Testreihen, bei denen die beiden Instrumente zusammengeschaltet wurden. Hinzukommen soll zum Verbund auch der japanische Tama-300-Detektor, der schon seit einigen Jahren arbeitet. Der Bau eines vierten Detektors, Virgo bei Pisa in Italien, wird voraussichtlich dieses Jahr abgeschlossen.

Gemessen werden mit den Instrumenten die Abweichungen in der Laufzeit von Laser-Lichtstrahlen, wenn diese von Gravitationswellen erschüttert werden. Dabei wird ein Laserstrahl von einem halbdurchlässigen Spiegel in zwei Teilstrahlen aufgespalten, durch teilweise kilometerlange, im rechten Winkel zueinander stehende, luftleere Rohre geschickt und zurückreflektiert. Wird einer der beiden Strahlen durch eine Gravitationswelle gestaucht oder gestreckt, treffen beide Enden nicht mehr genau zusammen.

Diese messbare Abweichung, eine Art „Raumbeben“, hat eine unvorstellbar winzige Intensität: Selbst die stärksten Schwerkraftwellen, wie sie bei Explosionen von Riesensternen oder Kollisionen von Schwarzen Löchern entstehen, verzerren den Raum auf der Entfernung Erde–Sonne höchstens um den Durchmesser eines Atoms.

Für die Detektoren, deren Laserstrahlen von 600 Meter Länge wie bei GEO 600 bis zu 6 Kilometern Länge wie bei Ligo reichen, heißt das: Bei ihnen müssen noch Laufzeitabweichungen feststellbar sein, die einem Billiardstel Millimeter entsprechen – dem tausendsten Teil des Durchmessers eines Protons, eines Teilchens im Atomkern.

„Man darf sich das aber nicht so vorstellen, dass man eine kleine Erschütterung registriert, und das war dann eine Gravitationswelle“, sagt Gernot Neugebauer, Physiker am Sonderforschungsbereich Gravitationswellenastronomie der Universität Jena. „Die Detektoren registrieren alle möglichen Störsignale, angefangen von Erdbeben über Verkehr bis hin zu herumlaufenden Menschen. Sogar die Brandung der Nordsee und herunterfallendes Laub stören. In diesem Rauschen suchen wir nach einer bestimmten charakteristischen Signalform von Gravitationswellen, die wir vorher hier in Jena theoretisch berechnet haben, Signalformen, wie sie etwa bei Supernovae oder der Verschmelzung Schwarzer Löcher entstehen.“

Können Gravitationswellen erst einmal nachgewiesen werden, öffnet sich für Astronomen ein neues Fenster ins Universum – mit besserer Aussicht als je zuvor. Da Gravitationswellen kaum mit herkömmlicher Materie wechselwirken und also anders als zum Beispiel Licht auch kaum absorbiert werden, enthalten sie nahezu unverfälschte Informationen über sehr weit entfernte oder für herkömmliche Teleskope kaum zugängliche Bereiche und Vorgänge im Weltall.

Bis dahin könnte allerdings noch viel Zeit vergehen. „Wir sind jetzt so weit in der Empfindlichkeit unserer Apparate“, sagt Karsten Danzmann, Physiker und Leiter des GEO-600-Detektors, „dass wir die Gravitationswellen einer Supernova irgendwo in unserer eigenen Galaxie, der Milchstraße, nachweisen könnten. Weil die aber nicht so häufig vorkommen, im Schnitt alle hundert Jahre, könnte der Nachweis noch lange auf sich warten lassen. In unserem Forschungsgebiet braucht man nicht Geduld, sondern Langlebigkeit.“

Immerhin, einen indirekten Beweis für Gravitationswellen gibt es schon seit fast drei Jahrzehnten. 1974 entdeckten zwei Astronomen, Joseph Taylor und Russell Hulse, ein Sternsystem aus einem Neutronenstern und einem Pulsar. Neutronensterne sind kleine, extrem dichte Reste von ausgebrannten, zuvor explodierten Sternen, üblicherweise nur bis zu einige Kilometer groß und so kompakt, dass ein Kubikzentimeter Materie auf ihnen Millionen Tonnen wiegt.

Taylor und Hulse fanden heraus, dass die beiden Sterne des Systems mit dem Namen PSR 1916+13 sich um dreieinhalb Meter pro Jahr annähren. Die Energie, die das System dabei verliert, so berechneten die beiden Astronomen, wird in Form von Gravitationswellen abgestrahlt. Die Kalkulation deckt sich exakt mit der Einstein’schen Vorhersage für Abstrahlung von Energie durch Gravitationswellen. Für die Entdeckung erhielten Taylor und Hulse 1993 den Physik-Nobelpreis.

Infos: www.geo600.uni-hannover.de