Nicht besonders beratungsresistent

Schlamm- statt Kamelleschlacht in Niedersachsen: Litt die alte SPD-Regierung unter Gutachteritis? Versuchen CDU und FDP gezielt, Ex-Ministerpräsident Gabriel fertig zu machen? Ein böses Spiel um Talkshow-Vermittlungen, Expertisen und Verträge

Aus Hannover Kai Schöneberg

„Versicherungsbranche“ oder „Vorkommen und Lebensbedingungen der Fischart Finte“ heißen sie – und sorgen derzeit in Niedersachsen für böses Blut. Litt die alte SPD-Regierung unter Gutachteritis? Wollen CDU und FDP per Kampagne Ex-Ministerpräsident Sigmar Gabriel (SPD) fertig zu machen? Müssen Berater sein? Fragen, die sich prima per Gutachten lösen ließen ...

Auslöser für den Streit war ein TV-Scherbengericht über Gutachten-König Florian Gerster bei Christiansen. Hier hatte Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) Berater-Mogul Roland Berger angegriffen, weil der behauptet hatte, er arbeite für die Niedersachsen. „Lächerlich“, konterte die Staatskanzlei: Wulff habe alle Beziehungen mit Berger gelöst. Aber Vorgänger Gabriel habe mehr als eine halbe Million Euro bei Berger verbrannt, der ihm Vorschläge der CDU, des Landesrechnungshofes und der Grünen als „Gutachten“ verscherbelt habe. Seitdem hören die Verdächtigungen, Gabriel habe als Ministerpräsident Gefälligkeits- und Gutachten mit zweifelhaftem Nutzen beauftragt, nicht mehr auf.

Mit Not wies Gabriel zurück, er habe 35.000 Steuer-Euro dafür ausgegeben, sich zu Regierungszeiten in Talkshows vermitteln zu lassen – er habe sich ja vor Anfragen kaum retten können. „Verschaffung regelmäßiger Auftritte in bundesweiten TV-Veranstaltungen“ steht jedoch im Vertrag. Leider stellt niemand die Frage, ob Gabriel nicht heute viel dringender einen Talkshow-Vermittler bräuchte.

Wacker schlug die Opposition zurück. SPD wie Grüne kritisierten Listen von Finanzminister Hartmut Möllring (CDU). 23 „Erstgutachten“ für rund 900.000 Euro gab die Landesregierung darin für ihr erstes Regierungsjahr zu. Um dann eine zweite Liste mit „Folgegutachten“, die sich aus Gutachten der SPD-Zeit ergeben würden, nachzulegen. Kosten: fünf Millionen Euro. CDU und FDP hätten die Millionen für die „Folgegutachten“ doch nicht aus Daffke ausgegeben, „die Teilung in Erst- und Folgeaufträge ist Augenwischerei“, sagte der Grüne Stefan Wenzel. Wulff habe in einem Jahr also sechs Millionen Gutachter-Euro verbraten – doppelt so viel wie einst die SPD, errechnete Ex-Finanzminister Heiner Aller (SPD).

28 Millionen Euro für 368 Gutachten hat die SPD immerhin in der Zeit von1994 bis 2002 verschossen. Da geraten auch die Kosten für die 28 Mitarbeiter in der neuen Stabsstelle zur Verwaltungsmodernisierung in die Diskussion: ohne Pensionsansprüche mindestens 1,5 Millionen Euro pro Jahr, meint die SPD. Ob nicht externe Berater günstiger gewesen wären? Die Grünen fragen indes nach einer „Resonanzstudie“ der Staatskanzlei. „Es sollte Wulff nicht erlaubt sein, 30.000 Euro für eine Telefonumfrage auszugeben, um zu erfahren, ob er bei der Bevölkerung gut ankommt“, wettert der Grüne Wenzel. Dann stellte der CDU-Finanzexperte Bernd Althusmann die „sehr ernste Frage“, wo denn die knapp 200.000 Euro teure Berger-Studie (Tagessatz 2.100 Euro) über die Bezirksregierungen aus dem Jahr 2000 geblieben sei. „Ein handfester Skandal“, dass das Gabriel-Gutachten offensichtlich „gar nicht existiert“. Das sei „Diffamierung“, konterte gestern die SPD, tatsächlich lägen 500 Berger-Seiten mitsamt Vertrag vor.

Der kommende Freitag dürfte zum High Noon in Sachen Berater-Hickhack werden. Im Finanzministerium wird derzeit an einer heißen Liste mit angeblich knapp 90 bislang unbekannten Verträgen aus Sozen-Zeiten getüftelt. Die wollen CDU und FDP am kommenden Freitag Gabriel & Co. im Landtag um die Ohren hauen. Dabei dürfte es sich um Beratertätigkeiten wie Moderationen oder Coaching handeln, die bislang gar nicht abgefragt wurden. Auch im staubtrockenen Niedersachsen begännen nun „die tollen Tage“, freuten sich die Grünen. Nur, dass CDU und SPD nicht mit Kamelle, sondern mit Schlamm schmissen. Allein Roland Berger habe in den letzten zehn Jahren sechs Millionen Euro in Niedersachsen verdient – mit „sehr dürftigen“ Ergebnissen, sagte ver.di-Landeschef Wolfgang Denia. Und: „Das Gutachten zur Haushaltskonsolidierung 2002 hätten unsere Personalräte zwischen Frühstück und Mittagessen auch kostenlos selber schreiben können.“