Was bleibt nach einem Künstlerleben?

Der Meisterfotograf Ara Güler zeigt in der Städtischen Galerie Bremen Werke aus seiner 50-jährigen Schaffenszeit, die seiner Meinung nach „der Zeit standhalten“. Von künstlerischen Weihen allerdings will der 75-jährige nichts wissen, seine fotografische Mission ist das Dokumentieren für die Nachwelt

von KLAUS IRLER

Kunst? Findet der Künstler zweitrangig. „Wir sind visuelle Historiker“, sagt Ara Güler. „Fotografie heißt, der Nachwelt etwas zu überliefern. Und das ist wichtiger als das Künstlerische.“ Dabei ist der türkische Fotograf Ara Güler längst im Kunstbetrieb angekommen, ist einer, der seine Fotos in über 30 Bildbänden publizierte und schon 1968 vom New Yorker Museum of Modern Art zu einem der „Zehn Meister der Farbfotografie“ gewählt wurde. Güler ist ein Fotokünstler, bei dem es den Ausstellungsmachern in einer Einrichtung wie der Städtischen Galerie in Bremen ganz feierlich zumute wird: „Eine besondere Ausstellung“ sei das für Bremen, eine „sehr große Ehre“, erstens, dass er überhaupt komme und zweitens auch noch mit so vielen Werken.

Außergewöhnlich an der Bremer Ausstellung namens „Zeitblende“ ist, dass der 75-jährige Güler selbst die Auswahl der Exponate übernommen hat. „Ich zeige zum ersten Mal eine Zusammenstellung aus Werken meiner fünfzigjährigen Schaffenszeit“, so Güler. „Aus meinem Archiv habe ich die Fotografien ausgewählt, die der Zeit standhalten, das heißt bei immerwährender Betrachtung aktuell bleiben. Die Ausstellung wird auch für mich eine Überraschung sein, da ich meine Arbeiten mit einem solchen Konzept zum ersten Mal sehen werde.“

Der Bremer Test auf zeitlose Relevanz erfolgt in den drei Kapiteln „Portraits“, „Fotoreportagen“ und „Klassiker“. Mit letzteren sind Gülers Momentaufnahmen des Alltags in Istanbul gemeint, Arbeiten, die in den 1950er und 60er Jahren entstanden sind und Güler den Ruf als „das Auge Istanbuls“ einbrachte. „Lastenträger am Eminönü-Anleger in Hoffnung auf Arbeit“ heißt einer dieser Klassiker oder „Gedankenversunken in einer Kneipe von Tophane“. Oder „Die alte Galata-Brücke zur Mittagszeit“: Istanbuls Silhoutte schimmert im Hintergrund während auf der Brücke Menschen im Gegenlicht wuseln und Schiffe beladen. Eine Rush Hour ohne Autos, ein Bild des Wandels, bei dem man merkt: Güler hat dieses Bild nicht gesucht, sondern gefunden.

Etwas, das sicher mit seinem Selbstverständnis zu tun hat: „Ich bin kein Fotokünstler, sondern Fotojournalist, und deswegen ist die Dokumentation für mich wichtiger als die Ästhetik.“ Güler war ab 1956 Korrespondent für das Magazin Time-Life, ab 1958 arbeitete er für Paris Match und den Stern. Seit 1959 ist er Mitglied der Pariser Bildagentur Magnum, die seine Reportagen weltweit verkaufte – darunter auch Gülers größte Erfolge „Arche Noah“ und „Aphrodisias“.

Dabei hat sich Güler bei seiner Arbeit nie auf den Nahen Osten beschränkt: Er reiste, soviel er konnte, und machte sich jenseits der Reportage einen Namen als Meister des Promi-Portraits. Maria Callas fotografierte er beim Plaudern in der Lounge, Brigitte Bardot beim kalkuliert hinreißenden Blick über die Schulter. Dustin Hoffmann zeigt Güler aus der Vogelperspektive als Angry Young Man und Tennessee Williams sitzt verschwitzt in einem dick gepolsterten Gutsherren-Sessel – es seien jene Menschen, „die den Grundstein gelegt haben für die Phase, in der wir heute leben“, so Güler. „Denn das Weltgeschehen wird nicht von den Politikern geprägt, sondern von den Künstlern.“

Was aber macht nun ein Foto zu einem guten Foto? „Dafür gibt es keine Regel“ sagt Güler. Kriterien gebe es, die Komposition und der Inhalte seien beispielsweise wichtig, aber konkrete Kriterien gebe es nicht: „Wenn es eine Fotografie schafft, mir einen Inhalt zu vermitteln, wenn sie meine Gefühle in Bewegung setzt, dann sage ich: ‚Das ist o.K.‘“ Er selbst drücke dann auf den Auslöser, wenn ihn etwas begeistere und bewege. „Und vergessen Sie nicht: Ich bin Journalist.“

bis 14. März. Eröffnung: 14.2., 19.00 Uhr, mit einer Einführung von Magnum-Chefredakteur James A. Fox. Am 15.2. führt Ara Güler um 14 Uhr durch die Ausstellung, am 16.2. gibt es um 19 Uhr eine Diskussionsrunde mit James A. Fox über die Rolle des Fotojournalismus in der aktuellen Medienrealität