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christoph schultheis Die 7-Minuten-Terrine

Lektüre auf Zeit: Die „Berliner Zeitung“ bietet ein ausführliches Inhaltsverzeichnis zum Querlesen

Achtung: Die Lektüre dieses Textes dauert ungefähr 2 Minuten. Überlegen Sie sich also gut, ob Sie weiterlesen wollen. Die durchschnittliche Lesedauer einer durchschnittlichen Tageszeitung nämlich beträgt bloß 38 Minuten. Inklusive Umblättern. Das haben Leserbefragungen ergeben. (Ähnlich wie bei Umfragen „Wie oft haben Sie Sex?“ weiß letztlich kein Mensch, ob das, was die Befragten geantwortet haben, überhaupt stimmt. Stattdessen bleiben handfeste Zahlen – also „ein bis zwei Mal pro Woche“ zum Beispiel. Oder „38 Minuten“. Je nachdem.)

Themawechsel: Uwe Vorkötter, Ex-Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung, ist vor zwei Jahren von einer Landeshauptstadt in eine andere Landeshauptstadt umgezogen und seither Chefredakteur der Berliner Zeitung. Und diese Berliner Zeitung – das ist schnell erzählt – hat schon einiges hinter sich: Das Ex-DDR-Blatt wurde nach der Wende vom Hamburger Verlag Gruner+Jahr gekauft und mit viel Aufwand und Geld komplett umgewurschtelt. Zuerst sollte es eine „überregionale Qualitätszeitung aus Berlin“ werden, dann immerhin eine „Qualitätszeitung mit überregionaler Ausstrahlung“ oder wenigstens eine „Qualitätszeitung“. Geworden ist aus ihr eine beachtliche Tageszeitung mit vielen Lesern aus Ostberlin und, wenn man Chefredakteur Vorkötter glauben darf, mit „präzisen Nachrichten, sachkundigen Analysen, argumentationsstarken Kommentaren, niveauvoller Unterhaltung und natürlich Service vom Theaterprogramm bis zum Wetterbericht“. (Und wenn sich, kurzum, das Kartellamt nicht so anstellen würde, wäre die Berliner inzwischen auch richtiggehend an den Stuttgarter Holtzbrinck-Verlag verkauft.)

Seit gestern erscheint die Berliner außerdem mit einer neuen Blattstruktur: Wirtschafts- und Sportteil sind nun weiter vorne im Blatt zu finden, und statt mit der Lokalberichterstattung hört die Zeitung nun seltsamerweise mit dem Feuilleton auf, na ja. Kernstück von Vorkötters Reform aber ist – redaktionsintern liebevoll „7-Minuten-Terrine“ genannt – eine Art Inhaltsverzeichnis ganz am Ende der regulären Zeitung: die „7-Minuten-Seite“, für die der sachkundige Leser das Blatt um 90 Grad gegen den Uhrzeigersinn drehen muss, die dafür aber, so der argumentationsstarke Vorkötter, „in sieben Minuten bequem zu lesen ist“.

Doch auch, wenn die Lektüre im Selbstversuch nicht mal halb so lang gedauert hat und wir jetzt auf die grundsätzliche Frage verzichten, warum man eigentlich all die interessanten „7 Minuten“-Infos hernach ein zweites Mal auf Seite 5 oder 18 oder 30 nachlesen soll, gäbe es noch manches zu erzählen über diese Blattstrukturreform, über Einwände des (noch) zuständigen G+J-Zeitungsvorstands Achim Twardy etwa, über angelegentliche Leserbefragungen oder Vorkötters E-Mails an die Mitarbeiter – aber nein: Die Idee ist grundsätzlich gut. (Habe ich „Idee“ geschrieben? Und „grundsätzlich“? Gut.) Und weitere Einzelheiten würden ja doch nur ein paar Branchenkenner interessieren – und Ihre durchschnittliche Leserdauer überschreiten.

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