Die Frage heißt: „What‘s next?“

Der Tag der Besetzung von Bagdads Zentrum war ein Tag der Erleichterung für die USA. Wie es nach dem militärischen Erfolg weitergeht, ist umstritten

aus Washington MICHAEL STRECK

Amerika konnte sich an diesen Bildern nicht satt sehen. Menschen jubeln in den Straßen von Bagdad und in US-Städten mit Exiliraker-Gemeinden. Iraker halten Pappschilder mit „Bush, danke“ in die Kameras und umarmen US-Soldaten. Hinweggefegt ist alle Kritik am Militäreinsatz, vergessen sind für einen Moment die Opfer und die Tatsache, dass noch keine biologischen und chemischen Waffen gefunden wurden. Dies war der Tag der Erleichterung, auch wenn der am häufigsten gesagte Satz „Der Krieg ist noch nicht vorbei“ war.

Nach außen demonstrierte das Weiße Haus daher freudige Zurückhaltung, zeigte weder Triumph noch Schadenfreude. Der Präsident reagierte nach Darstellung seines Sprechers Ari Fleischer erfreut, aber auch sehr vorsichtig, da „er weiß, dass noch große Gefahren vor uns liegen können“. Doch es war zu spüren, mit welcher Genugtuung er die Bilder im Oval Office verfolgt haben dürfte. Fleischer selbst sprach von einem „historischen Augenblick“, dem „machtvollen Beweis für den Wunsch der Menschen, frei zu leben“.

Vizepräsident Dick Cheney, noch nie ein Mann der vorsichtigen Töne, nannte den Krieg „einen der erfolgreichsten Militäreinsätze der Geschichte“, auch wenn es noch zu harten Konfrontationen kommen könne. Cheney ließ es sich nicht nehmen, zum Schlag über den Atlantik auszuholen. Er geißelte Frankreich und Deutschland als „Verhinderer“, die bei der Vergabe lukrativer Aufträgen ein wenig „schmoren“ müssten. Humanitäre Hilfe dürften sie leisten.

Pentagonchef Donald Rumsfeld fühlte sich angesichts der Jubelszenen in der irakischen Hauptstadt an den Fall der Berliner Mauer erinnert. Saddam Hussein habe nun einen „rechtmäßigen Platz“ neben Hitler, Stalin und anderen Diktatoren eingenommen. Doch er warnte auch: „Wir hatten einen guten Tag, es ist jedoch noch nicht vorbei.“

Dass unter Militärstrategen niemand an ein überstürztes Kriegsende glaubt, zeigte die Meldung, dass die US-Luftwaffe mehrere der weltgrößten konventionellen Bomben in die Golfregion transportieren lässt. Eine einzige verfügt nach Militärangaben über die Sprengkraft einer kleinen Atombombe.

Unabhängig davon, wie lange die Kampfhandlungen noch dauern werden, begann mit dem gestrigen Mittwoch die Nachkriegsära des Irak. So sicher der militärische Sieg sein wird, so unsicher ist jedoch die Beantwortung der Frage „What's next?“ Der Sturz der Hussein-Statue in Bagdad wirkte hierfür wie ein Symbol. Anfangs stülpte ein US-Soldat dem Kopf eine amerikanische Fahne über, entfernte sie jedoch rasch – offenbar auf Order von Vogresetzten. Dann legte man der Statue eine irakische Flagge über den Arm.

Um das Bild vom Eroberer abzuschwächen, arbeitet man im Pentagon und US-Außenamt mit Hochdruck an einer Übergangsverwaltung für den Irak. So soll es in Kürze ein Treffen von mehr als 40 irakischen Politikern zur Zukunft des Landes geben. Der Chef des Irakischen Nationalkongresses und Rumsfeld-Zögling Ahmed Chalabi kündigte an, unter den dazu eingeladenen Politikern würden 14 Exiliraker sein, 29 seien Vertreter verschiedenen Regionen, religiöser und ethnischer Gruppen. Nach Angaben des US-Außenministeriums sollen diesem ersten eine Reihe weiterer regionaler Treffen folgen, die in einer Konferenz in Bagdad münden sollte, die eine Übergangsregierung bestimmen würde.

Wie schwer jedoch eine gemeinsame Regierungsbildung werden wird, zeigte bereits die erste Reaktion einer großen schiitischen Oppositionsgruppe, die ihren Boykott des Treffens ankündigte. Der Londoner Vertreter des Hohen Rats für die Islamische Revolution im Irak (SCIRI), Hamid el Bajati, sagte: „Wir können uns nicht an einer Militärregierung für das Land beteiligen“, sagte er. Ohne Unterstützung der Schiiten dürfte es schwierig werden, das Land zu regieren, meinen Nahostexperten.

Zudem musste sich das Pentagon, das zum Verdruss vieler Beamter im Außenministerium die Planungen für die Nachkriegsordnung weitgehend an sich gerissen hat, erneut heftige Vorwürfe irakischer Oppositionsgruppen anhören, dem umstrittenen Chalabi den Vorzug beim Aufbau einer Nachkriegsverwaltung einzuräumen.

Erstaunlich ruhig ist es hingegen um Bushs Wunschkandidaten für den Posten des ersten Administrators, den Exgeneral Jay Garner, geworden. Dieser wartet noch immer im Hotel in Kuwait auf seinen Einsatz. Für viele ist das Schweigen viel sagend, deutet es auf den anhaltenden Machtkampf zwischen Militärführung und den Diplomaten im Außenamt hin. Die Leute um Colin Powell wünschen sich eine zurückhaltende US-Präsenz und eine stärkere Einbindung von UNO und Irakern, die nicht im Exil die Bodenhaftung verloren haben.

Wenn der Tag, an dem Bagdad fiel, noch eine andere Lektion übrig hatte, dann die, dass sich die Neokonservativen mit dem Sturz des irakischen Regimes nicht begnügen werden. Es war auffällig, wie oft die Länder Syrien und Iran genannt wurden. Die deutlichsten Signale sandte wieder Rumsfeld. Er beschuldigte Syrien unmissverständlich, den irakischen Staatschef Saddam Hussein weiterhin zu unterstützen. Man erinnerte sich an die Worte von Michael Leedan, einst Reagan-Berater und nun Vordenker in der konservativen Denkfabrik American Enterprise Institute: „Der Irak ist nur der Anfangskampf in einem viel größeren Krieg.“