Krach in Brüssel

Die Kontroversen in der Europäischen Volkspartei verschärfen sich. Jetzt droht der Fraktion die Spaltung

BRÜSSEL taz ■ Die Europawahl rückt näher, und die Abgeordneten beginnen Nerven zu zeigen. Diese Woche spielten sich, wie Teilnehmer berichten, im Fraktionssaal der Sozialdemokraten in Straßburg tumultartige Szenen ab. Der österreichische parteilose Abgeordnete Hans-Peter Martin, der der sozialistischen Fraktion als „Gast“ angehört, wurde am Mittwoch des Saales verwiesen. Er hatte Kollegen daran zu hindern versucht, sich in Anwesenheitslisten für Sitzungen einzutragen, die abgesagt waren.

„Mit einer Eintragung haben sie automatisch Anspruch auf volle Tagesdiäten von 262 Euro, auch wenn die Sitzung nie stattfindet“, erklärte Martin. Den Unmut seiner Kollegen hatte er schon auf sich gezogen, als er seine Spesenabrechnungen im Internet veröffentlichte und damit der Bildzeitung neues Schlagzeilenfutter verschaffte. Seit Jahren wird darüber gestritten, ob Abgeordnete weiter die großzügigen Pauschalen kassieren dürfen oder ihre tatsächlichen Kosten abrechnen müssen.

Auch bei der konservativen Fraktion ging es diese Woche rund. Am Donnerstag setzte sich der Fraktionschef Hans-Gert Pöttering mit seinem Vorschlag durch, den euroskeptischen Torries in der Fraktion Sonderrechte einzuräumen. In der Satzung wird verankert, dass sie bei „Verfassungsfragen“ gegen die Fraktionslinie stimmen dürfen. Mitglieder der proeuropäischen französischen UDF drohten daraufhin, die Fraktion zu verlassen.

„Die Europäische Volkspartei ist in Kernfragen gespalten, die Torries bekämpfen die Verfassung, Berlusconi polemisiert gegen den Euro, und die Partei ist tief entzweit in der Türkeifrage“, klagte der französische Europaabgeordnete Jean-Louis Bourlanges. Er überlegt, mit Abgeordneten seiner UDF, einigen Liberalen und italienischen Konservativen aus Romano Prodis „Sammlungsbewegung der politischen Mitte“ im nächsten EU-Parlament eine neue Fraktion zu gründen.

Die Sozialisten, noch zweitgrößte Fraktion im Europaparlament, nahmen die Risse im konservativen Haus schadenfroh zur Kenntnis. „Die Bemühungen des EVP-Vorsitzenden Pöttering, den politischen Bauchladen zusammenzuhalten, sind endgültig gescheitert“, prophezeite der deutsche Sozialdemokrat Martin Schulz. Pöttering wird alles daran setzen, ihn Lügen zu strafen. Denn die größte Fraktion kann sich die meisten Chancen ausrechnen, den künftigen Kommissionspräsidenten auszusuchen. DANIELA WEINGÄRTNER

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