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: Das Mädchen mit dem Hund

Schwierig zu sagen, in welcher Beziehung sie zueinander stehen: Der Mann ist älter, trägt ein beiges Cordjackett und ist bemüht, trotz des Biers Haltung zu bewahren. Aber nicht zu sehr. Die Frau gehört zum mädchenhaft-verlorenen Typus, den man keinesfalls unterschätzen darf, und sie trägt eine Mütze, die so rot ist wie das Herz am Halsband ihres Kleinsthundes.

„Wie alt bist Du?“, fragt der Mann im beigen Cord seinen Sitznachbarn, der aussieht als könne er aus Südostasien stammen. „70“, sagt der sehr freundlich. „Macht nichts“, sagt der Cordmann und schließt eine Zote zum Themenkreis Alter und Potenz an, die man wiederholen kann, aber nicht muss. „Kennst du die Reeperbahn?“, fragt der Cordmann dann. „Ich kannte sie, noch bevor da gebaut wurde“, sagt der Nachbar. „Und wo wohnst du?“ – „In Sülldorf“. – „Sühldorf?“, wiederholt der Cordmann, „das klingt komisch“.

An dieser Stelle schaltet sich das Mädchen ein: „Meine Oma hat da ihre Silberhochzeit gefeiert“, sagt sie und damit sollte klar sein, dass es sich um einen vertrauenserweckenden Ort handelt. „Ach ja“, sagt der Cordmann. „Meine Frau ist mit 63 Jahren gestorben“, sagt nun sein Sitznachbar. „Wir müssen jetzt leider aussteigen“, gibt der Cordmann zurück, und er und das nicht zu unterschätzende Mädchen und der Hund verlassen die S-Bahn.

FRIEDERIKE GRÄFF