Zwei Dörfer in der Stadt

Wer sesshaft werden will, steht vor der Alternative, ein Häuschen am Stadtrand zu erwerben oder es sich in der Stadt gemütlich zu machen. Zwei Paare, die unterschiedliche Wege gegangen sind, berichten von ihren Motiven und Erfahrungen

■ Der Mitte-Rechts-Senat hat das Leitbild „wachsende Stadt“ ausgerufen: Hamburg soll auf zwei Millionen Einwohner anwachsen. Dabei geht es vor allem darum, junge, einkommensstarke Familien davon abzuhalten, ins Umland zu ziehen. Der jetzige Senat will ihnen daher bessere Möglichkeiten bieten, Wohneigentum zu erwerben und weist vermehrt Baugebiete für Einfamilien- und Reihenhäuser aus, während der rot-grüne Senat zumindest konzeptionell das Wohnen im Inneren der Stadt attraktiv zu machen versuchte: Neue Wohnformen und Bauherren-Gemeinschaften sollten soviel Lebensqualität ermöglichen, dass sich der Flächen fressende Wunsch nach einem Häuschen im Grünen erübrigt. Zwei Beispiele.

von GERNOT KNÖDLER

Kornelia Lüschen hatte irgendwann die Nase voll von der Stadt: „Du gehst ins Bett und hörst das Geklapper von der Kneipe im Erdgeschoss, das Kind über dir lernt gerade durchzuschlafen und wenn du auf die Straße trittst, überfährt dich ein Radfahrer.“ Vor einem Jahr ist die Enddreißigerin zusammen mit ihrem Mann Hubertus Walter in den Dorfanger Boberg gezogen, eine Projektsiedlung zwischen Mümmelmannsberg, Lohbrügge und Havighorst. Sie haben ein 130-Quadratmeter-Grundstück mit einem dreistöckigen Reihenhaus von 40 Quadratmetern Grundfläche gekauft, vorne ein Parkplatz, hinten Terrasse, Schuppen und Gärtchen. „Am Anfang hab ich gedacht, ich bin in einem Ferienhausgebiet“, erinnert sich Walter.

Beide hatten zuvor mitten in der Stadt gewohnt: er sechs Jahre lang im Schanzenviertel, sie zwölf Jahre lang in Bahrenfeld, zuletzt beide zusammen am Bahrenfelder Steindamm. „Ich hab ja immer gesagt: Ottensen ist mein Dorf“, sagt Lüschen. Beim Einkaufen am Spritzenplatz traf sie Freunde und Bekannte, im Mietshaus half man einander. Dass der eine oder andere seine Macken hatte, wurde toleriert.

Doch das, was sie in den ersten Jahren so schön gefunden hatte, wurde ihr mit der Zeit zu eng. Fand sie es früher spannend, herauszukriegen, wo im Haus die Nachbarn wohnten, die sie auf der Straße traf, ging es ihr irgendwann auf den Geist, zwangsläufig Lebens- und Liebesgewohnheiten ihrer Mitbewohner kennenzulernen. Hier in der Siedlung sei das anders mit den Nachbarn. „Ich weiß weniger von ihnen über unfreiwillige Preisgabe und mehr durch bewusste Mitteilungen“, sagt Lüschen.

Stehen sie und ihr Mann im Garten, können sie es sich aussuchen, mit den Nachbarn zu klönen oder eben nicht. Lüschen genießt „das Gefühl, vor die Tür treten zu können, ohne im öffentlichen Raum zu sein“. Da macht es nichts aus, dass ihr Garten nur die Größe eines Wohnzimmers hat und zur Hälfte mit einer Terrasse und einem Schuppen belegt ist. Er müsse keinen riesigen Park haben, sagt Walter, aber etwas, „wo man ein bisschen rumbutschern kann“. Eine Fläche, die sie nutzen könne, ohne kilometerweit Geschirr durch die Gegend zu tragen, ergänzt Lüschen.

Den Ausschlag, dass sich die beiden überhaupt ein Häuschen kauften, gaben die Kosten ihrer Mietwohnung. Sie lagen nur wenig unter dem, was die beiden jetzt für Zins und Tilgung bezahlen. Mehr als ein Jahr lang haben sie sich ihr jetziges Haus immer wieder angesehen. „Wir haben uns entschieden, nachdem wir Objekte im Umland besichtigt hatten“, erzählt Walter. Die Zersiedelung dieser Gemeinden durch ihre ausufernden Neubaugebiete fanden die beiden abschreckend. Und weil sie es ohnehin schwer fanden, sich davon zu verabschieden, zu Fuß zum Kino gehen zu können, sei nur ein Wohnort mit Nahverkehrsanschluss und örtlicher Versorgung in Frage gekommen.

Mit dem Bus braucht man fünf Minuten zur U-Bahnstation Mümmelmannsberg und von dort eine halbe Stunde in die Innenstadt. Lüschen fährt etwas länger zur Arbeit als bisher, kann aber in der U-Bahn gemütlich lesen. Für ihren Mann, der in Bergedorf arbeitet, ist der Weg sogar kürzer geworden. Eines ihrer beiden Autos haben sie verkauft.

In der Boberger Siedlung, die bewusst als Dorf konzipiert wurde, gibt es einen Frisör, einen Fleischer und ein griechisches Restaurant, das die Eckkneipe ersetzt. Die Nachbarn treffen sich beim Tanzkurs im Gemeinschaftshaus. „Alle sind Stadtbewohner und trotzdem hat das ganze einen dörflichen Charakter“, sagt Lüschen zufrieden.

Sascha Stockhausen hat sich vorgenommen, niemals länger als zehn Minuten zur Arbeit zu fahren. Zusammen mit seiner Freundin Ute Feddersen und ihrer gemeinsamen Tochter Rona will er im Juni in ein Wohnprojekt in Eimsbüttel einziehen – mitten in der Stadt, wo auch die Kita und der Supermarkt um die Ecke liegen und er Bekannte auf der Straße trifft. „Ich kann die Leute nicht verstehen, die ihren Lebensmittelpunkt teilen“, sagt Stockhausen. Wer eine Stunde oder zwei täglich zur Arbeit fährt und Überstunden macht, der brauche sich erst gar kein Haus auf dem Land zu bauen, weil er ohnehin nichts davon habe.

18 Parteien werden einmal in Stockhausens neuem Heim mit Passivhaus-Standard leben. Die Mitglieder der Projektgruppe suchten gemeinsam ein Grundstück, brachten das Startkapital auf und begaben sich dann unter das Dach der Schanze e. G., die die Selbstorganisation einer ganzen Reihe ähnlicher Projekte unterstützt. „Die Idee war, zentral zu wohnen, mit Leuten die man mag“, sagt Stockhausen. Ein Wohnprojekt war für ihn und seine Freundin „die nettere Alternative zu einer normalen Mietwohnung“.

Dabei hat es Stockhausen besonders der Genossenschaftsgedanke angetan: Die Mieter teilen sich das Eigentum und verwalten es gemeinsam. Für die Unterhaltung des Gebäudes bilden sie Rücklagen. So ist immer Geld da, wenn es das Dach neu zu decken oder die Fassade zu streichen gilt – Aufgaben, über die Hausgemeinschaften gerne mal streiten, wenn jeder seine eigene Eigentumswohnung hat. Auch die Genossenschaftsmitglieder seien jedoch Eigentümer und gingen entsprechend sorgsam mit dem Haus und seiner Umgebung um.

Die Idee von Stockhausens „Wohnprojekts 13“ war es, Junge und Alte auf der Basis gegenseitiger Unterstützung zusammenwohnen zu lassen, nach dem Motto: Trägst du mir meine Sprudelkisten hoch, mache ich dir am Abend den Babysitter. Mehr als ein Drittel der Mitglieder sind inzwischen über 60 Jahre alt. „Die wollten nicht allein in ihren Häusern sitzen“, sagt Stockhausen, der das später einmal ebensowenig möchte. Stirbt ein alter Mieter, sollen deshalb junge Leute, zum Beispiel eine Familie, nachrücken. Die Mischung soll erhalten bleiben.

Das Baugrundstück in der Telemannstraße zu finden, sei ein hartes Stück Arbeit gewesen, erzählt Stockhausen. Es hat sich gelohnt: Die Straße bildet eine Sackgasse, so dass sich der Verkehrslärm in Grenzen hält. 15 Meter neben dem Hauseingang beginnt ein großer Spiel- und Bolzplatz, auf dem sich die dreieinhalbjährige Rona austoben kann. Sieben Minuten braucht Stockhausen mit dem Fahrrad zum Schrebergarten der Familie. „Der ist größer als jeder Garten in einer Neubausiedlung und spottbillig“, erzählt er.

Als Alternative zu einer Genossenschaftswohnung im Innern der Stadt wäre für ihn nur in Frage gekommen, ganz aufs Land zu ziehen. „Ich hab nichts dagegen, dass man aufs Land zieht, aber dann soll man da auch leben“, sagt Stockhausen. In der Vorstadt dagegen wohnten die Menschen ähnlich dicht aufeinander wie im Zentrum. Bewohner von Reihenhäusern müssten sich ebenso mit dem bellenden Hund ihres Nachbarn auseinander setzen wie die von Mietskasernen. „Da kannst du Bücher drüber schreiben, wie diese Eigentümer sich die Augen auskratzen“, sagt er.

Die Völkerwanderung ins Umland hält Stockhausen für sinnlos: Wer rausziehe und mit dem Auto in die Stadt fahre, verschlechtere dort die Lebensqualität, bis noch mehr Leute noch weiter vor die Stadt zögen und den bisherigen Vorstadt-Bewohnern das Leben schwer machten. „Die lösen die Probleme damit nicht, sondern sie verwirklichen nur diesen Traum, Eigentum zu haben“, findet Stockhausen. Von sich sagt er: „Ich mache mein Lebensglück nicht an einem Auto oder einem Haus fest.“