Broschüre will Stimmabgabe erleichtern

Wählen für alle

Wählen gehen: am 25. Mai im Wahllokal in der Kabine ein Kreuzchen machen, in den Umschlag stecken und in die Urne werfen, das war’s. Einfach, oder? – Nicht für alle.

Etwa 8.800 Wahlberechtigte in Bremen tun sich vermutlich etwas schwerer als andere damit, ihre Stimme abzugeben: Entweder wissen sie gar nicht, dass sie sich an Wahlen beteiligen dürfen, oder ihnen liegen diverse Stolpersteine im Weg: Sehbehinderte Menschen brauchen jemanden, der ihnen den Wahlzettel vorliest, und wenn Lernbehinderten klar ist, dass sie wählen dürfen, haben sie oft Scheu davor, weil sich kaum jemand die Mühe macht, ihnen das Wahlsystem in einfachen Sätzen und ohne Fremdwörter zu erklären.

Die Info-Broschüre „Wie man wählt“ könnte jetzt helfen: Ulrike Ernst von der Volkshochschule Hannover, die die Broschüre verfasst hat, nimmt die Forderung von Selbsthilfegruppen nach einfacher Sprache ernst: Ihre Sätze sind kurz, die Erklärungen kommen fast ohne Fremdwörter aus. „Ich hab’ versucht, so viele Details wie möglich aufzunehmen und trotzdem verständlich zu bleiben“, schildert Ernst ihre Schwierigkeiten. Illustrationen machen jeden Wahlschritt anschaulich. Die Bilder haben lernbehinderte Jugendliche beigesteuert. Mit der Wahlhilfe scheint Bremen seine behinderten BewohnerInnen ernster zu nehmen. Aber noch musste der Behindertenbeauftragte des Landes Niedersachsen, Karl Finke, der auch der Herausgeber ist, die Broschüre vorstellen: Bremen hat noch keinen eigenen.

„Das Heft soll Mut machen, eine eigenständige Wahlentscheidung zu treffen, und nicht Eltern oder Betreuer fragen zu müssen. Das ermöglicht doch erst, selbstbestimmt zu leben“, betont Detlef Jüttner, Bremer Landesvorsitzender des Sozialverbandes Deutschland (SoVD). Aus seiner eigenen Klasse weiß der Lehrer, dass viele seiner SchülerInnen nicht zur Wahl gegangen wären. Die Stimmabgabe sei für viele eine komplizierte Angelegenheit. Also nahm er das 1998 zu den Bundestagswahlen zum ersten Mal herausgebrachte Wahlhilfe-Heft mit in den Unterricht. Ergebnis: Die Mehrheit seiner SchülerInnen trauten sich anschließend ins Wahllokal. Auch die Möglichkeit, Probe zu wählen, würde Ängste abbauen, sagt er.

Petra Poggenhorn von der Jugendgruppe im SoVD betonte, dass gerade Menschen mit Behinderung stark von Arbeitslosigkeit und arbeitsmarktpolitischen, und selbstverständlich von vielen sozialpolitischen Entscheidungen betroffen seien. Um so wichtiger sei es, Menschen mit Behinderung für Politik zu interessieren und ihnen die Scheu davor zu nehmen.

Wenn das Heft seine Wirkung tut, bekommt Bremen vielleicht doch noch ein Landesgleichstellungsgesetz ohne Fianzierungsvorbehalt, und einen Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung.

Die Broschüre geht auf einen Anruf aus dem Heimbeirat der Werkstatt für Menschen mit Behinderung in Rotenburg zurück, berichtet der Niedersachse Finke. „Wir wollen ohne unsere Eltern und ohne unsere Betreuer wählen können, gibt es dazu eine Broschüre?“, fragten die Rotenburger. Die gab es damals noch nicht, also machte Finke sich an die Arbeit. ube

„Wie man wählt: Bürgerschaftswahl Bremen“ gibt es in der Landesgeschäftsstelle des SoVD, Ellhornstraße 35-37 in Bremen.