Die zwölf aus der Halfpipe

Urs Dietrich stellt in seinem Tanzstück „persona“ verschiedene Selbstinszenierungen nebeneinander – und wirft dabei auch einen Blick auf Tanzläden und Modenschauen

“persona“ beginnt mit einem wunderschönen Effekt. Aus der beinahe leeren Bühne läuft ein helles Quadrat nach hinten aus. Es wölbt sich sanft nach oben. Wie eine fragile Halfpipe, in der sonst Skateboarder luftige Kunststücke vorführen. Daneben, dahinter: dunkel. Nur von Schwarzlicht angestrahlt, sieht das alles völlig unwirklich aus. Dazu pluckert, klickt und beept es. Man weiß nicht genau, von wo die Klänge kommen – doch langsam baut sich ein elektronischer Rhythmus zusammen. Schön nach der Reihe folgen kurze, fragmentarische Einzelaktionen. Die sind nicht abstrakt, sondern lassen immer wieder an edle Tanzläden oder auch glamouröse Modenschauen denken. Die Bühne im Schauspielhaus wird indes nur ganz langsam heller. Und mit dem Schwarzlicht verwaschen die Konturen der TänzerInnen. Alles flimmert.

“persona“ heißt die gut einstündige Ensembleproduktion. Also „Person“, aber eben auch „Maske“, „Rolle“. Über den Titel nimmt Dietrich seinen Zuschauern ein gutes Stück Interpretationsarbeit ab. Das wird auf der Bühne noch dadurch unterstützt, dass alle zwölf TänzerInnen die gleiche Perücke tragen. Die Gesichter sind hell geschminkt, was eine harte, kontrastreiche Mimik garantiert.

Wie Halfpipe-Skateboarder absolvieren auch die Tanzenden zahlreiche Soli. Gelegentlich gruppieren sie sich zu Duetten und Trios, seltener durchbricht eine Ensemblechoreografie den Reigen. Das sind dann Blöcke, die aus dem Fluss der einzelnen Bilder ebenso plötzlich hervortreten, wie sie wieder verschwinden. So entstehen schöne flüchtige Bilder. Zwei Frauen schenken sich Unterwäsche in Rosatönen – und vereinzeln sich wieder in der Bewegung. Ein Tänzer knurrt in glamouröser Kälte über den Catwalk.

Wie wirke ich? Wer bin ich eigentlich? Und: Welche Bewegung kann eigentlich noch „echt“ sein? An einer Stelle tragen drei beanzugte Tänzer eine Kollegin im schlichten, kurzen Kleid über die Bühne. Sie stellen sich vor ihr auf und sagen gleichzeitig: I love you. Und zwar ohne Ton. Wie sagt man “Ich liebe dich“, wenn‘s schon so oft gesagt wurde?

„persona“ wäre kein Dietrich-Stück, wenn es nicht immer wieder auch vom Tanzen selbst handeln würde. Eine angenehm entspannte Selbstbezüglichkeit zieht sich auch durch diese Produktion. Wie entstehen die Übergänge? Mal sanft, indem eine stark rhythmisierte Tanzfigur in Bodennähe als Schleife läuft, und die Gruppe sich findet – um gleich wieder auseinander zu fallen. Mal hart, wenn eine eher fließende Figur unterbrochen wird, als eine Tänzerin hereingelaufen kommt. Und dem Partner kurzerhand in die Arme hüpft.

Auch wenn einige der vielen, vielen Szenen nicht zwingend sind, entsteht – nicht zuletzt durch die gewohnt souveräne Ensemble-Leistung – ein permanent vor sich hin mäanderndes Kaleidoskop. Das ist sexy wie bei Urs Dietrich lange nicht gesehen.

Tim Schomacker

nächste Vorstellungen: 12., 25. und 27. April um 20 Uhr im Schauspielhaus