Weniger Glück…

…als Verstand: Das Osnabrücker Nussbaum-Museum widmet dem Genius Albrecht Dürer eine sehr ernsthafte Ausstellung zum 475.Todestag

Vollkommene Menschen und unerschöpfliche Rätselbilder

Die 475 ist eine natürliche Zahl. Und Sie ist durch 5, ja sogar durch 25 teilbar. Folglich ist der 475. Todestag absolut jubiläumstauglich: Im April 1528 starb Albrecht Dürer in Nürnberg.

Nicht nur in London und Wien begeht man den Gedenktag. Auch Osnabrück zeigt eine große Werkschau von AD, die erste in Norddeutschland, wie Kurator Thomas Schauerte hervorhebt. Und noch dazu eine wirklich norddeutsche. Sofern das möglich ist bei einem Künstler, der zwar mehrfach die Alpen überquerte,Venedig besuchte und Österreich, der aber wohl nur einmal die Donau gen Norden überschritt, auf einer Art Promotiontour durch die Niederlande Anfang der 1520er Jahre. Ihr künstlerischer Ertrag blieb gleich Null.

„Norddeutsch, das bezieht sich auf die Leihgaben“, stellt Schauerte klar. In der Tat: Bedeutende Stücke kommen aus Hamburg, die Kunsthalle Bremen hat zwölf Exponate zur Verfügung gestellt. Und das Prunkstück stammt aus dem Braunschweiger Herzog Anton Ulrich Museum: Die „portem der ehren und macht“ ist mit 3,50 mal 3 Metern der größte Holzschnitt der Welt. Ein gedruckter Triumphbogen, ein Monument aus Papier, geschaffen im Auftrag und zum seligen Angedenken Kaiser Maximilians I. Die Ehrenpforte zeigt das Nussbaum-Museum gleich zweimal: Verfilmt an die Wand projiziert. Und, in natura, in der Vitrine. Eine Notlösung, gewiss: Der Zustand der 36 Großfolio-Bögen verbot eine Hängung. Und doch entpuppt sich diese Präsentation als ein großer Vorteil: So lassen sich die zahllosen Details in Ruhe studieren.

Studieren ist das richtige Wort: Während das British Museum im Dezember mit einer eher dahergewurschtelten Schau den Jubiläumsreigen eröffnet hatte, und Wien für die im Sommer startende superlativlastigste Dürer-Expo aller Zeiten trommelt, zeigt Osnabrück eine protestantisch-schlichte Ausstellung.

Will sagen: Man beschränkt sich auf Grafiken. Und bloß kein Glamour! Es fehlen die durch Massenrepros zum Kitsch degradierten Feldhasenwiesen-Stücke. Und die PR-Abteilung konnte, vom griffigen Titel „das große Glück“ einmal abgesehen, Schauerte keine Zugeständnisse abringen. Der Populärgeschmack ist offenbar der erklärte Feind des Kunsthistorikers.

Das belegt zumal der Katalog: Einzelbeschreibungen überwiegen. Die drei Texte mit einführendem Charakter aber sind unheilbar an Gelehrtendeutsch erkrankt: „Trotz des begründeten, in seiner strikten Ablehnung vielleicht aber doch zu weitgehenden Widerspruchs, den Erwin Panofsky ihm sogleich entgegensetzte“, schwurbelt das Kapitel zur „Antikenrezeption los „bleibt es das unbestrittene Verdienst Max Hauttmanns,…“ Erbarmen! So jedenfalls schlägt niemand eine Bresche ins Phänomen Dürer.

Bleibt zu hoffen, dass es der Betrachter vermag. Hilfreich dabei ist ihm die klare Ausstellungs-Gliederung in drei Themen. Linker Hand dokumentieren Schaustücke die zeittypische Begeisterung für die Antike – und Dürers Art, sich deren Körpersprache zitierend anzueignen: Vollkommene Menschen, Proportions- und Bewegungsstudien – und die großen Allegorien, die Melencolia I, versteht sich, und direkt daneben die titelgebende Nemesis, „Das große Glück“, das heute Verhängnis heißen müsste. Eine ehrfurchtgebietende Patchwork-Frau, Apfelbrüste, Vettel-Po und Männerwaden, rechts hält sie einen Pokal, in der Linken Zaumzeug – unerschöpfliche Rätselbider, Provokationen des deutungswilligen Verstandes.

Das genau verbindet sie mit dem Themenkomplex der Gelehrsamkeit: Diesem Epochen-Ideal ist das rechte Seitengelass gewidmet. Hier findet sich, natürlich, der Heilige Hieronymus im Gehäus, jener bibelübersetzende Kirchenlehrer, der dank Dürers Darstellung zum Prototyp des Weisen avanciert. Zu entdecken aber auch: Folianten mit den Schriften des Künstlers. Prestigegewinn durch Bildung und Kunst: Das ist ein mit Beginn der Neuzeit erstmals formulierter Gedanke.

Beide Linien treffen zusammen im Herzen der Dürer-Gedenkausstellung: Bilder des Totenkults. Das eigene Schaffen im Hinblick auf eine weltliche Unsterblichkeit zu beginnen, sich um posthumen Ruhm zu sorgen, auch das ist ein frischer Gedanke der Renaissance. Das ist eine Mode. Aber mehr noch, das wird deutlich, eine treibende kreative Kraft der Epoche. In ihr artikuliert sich der Glaube daran, sich von der Kandare der Nemesis lösen zu können. Nicht durch Glück. Sondern durch Verstand – und Kunst.

Benno Schirrmeister

„Das große Glück“, Nussbaum-Museum Osnabrück, bis 6. Juli