Schulterschuss beendet Geiselnahme

Polizei befreit zwei Geiseln aus einem BVG-Bus. Ein vorbestrafter 46-Jähriger hatte den Bus nach einem Bankraub entführt. Die Geiselnahme weckt Erinnerungen an das Gladbeck-Drama 1988. Diesmal wird aber nur der Täter verletzt

Am S-Bahnhof Schöneberg klingt es noch harmlos aus dem Lautsprecher: „Aufgrund einer Polizeimaßnahme ist der Ausgang Sachsendamm gesperrt.“ Rotweißes Flatterband blockiert die nahe Kreuzung der Dominicusstraße, dort wie auch auf der Südseite des S-Bahndamms. Fast menschenleer ist die Straße dazwischen. Leicht schräg steht seit etwa halb elf Uhr ein Doppeldecker der Verkehrsbetriebe auf dem Sachsendamm, zwischen Sporthalle und Möbelladen. Keine Linienänderung hat den 185er von seinem üblichen Weg zwischen Lichterfelde-Süd und Witterbergplatz abgebracht, sondern ein Mann, der mit einer Pistole zwei Geiseln im Bus bedroht.

Vorangegangen ist ein Bankraub: Zu zweit hatten sie gegen 9.40 Uhr eine Commerzbank-Filiale in der Steglitzer Schlossstraße überfallen. Ein Dutzend Mitarbeiter und sechs Kunden sind in der Bank. Sie erleiden einen Schock, bleiben aber unverletzt. Die Höhe der Beute ist voerst unbekannt, wird später mit nur 5.000 Euro angegeben.

Während einer der Täter zu Fuß flüchtet und am Nachmittag gefasst wird, bringt sein Komplize den 185er mit rund 20 Menschen in seine Gewalt, lässt den Busfahrer knapp eine Stunde durch die Stadt kurven. 46 ist der Mann, mehrfach vorbestraft, heißt es später. Bis auf die beiden letzten Geiseln – eine uniformierte Polizistin und einen SFB-Mitarbeiter – lässt er nacheinander alle anderen laufen. Am Sachsendamm bringt eine Polizeiaktion den Bus zum Stehen, auch der Busfahrer kommt frei. Es folgen rund dreieinhalb Stunden des Wartens.

Zuvor waren Erinnerungen an das Gladbecker Geiseldrama von 1988 hochgekommen. Zwei Männer hatten damals nach einem Banküberfall und stundenlanger Flucht über die Autobahn in Bremen einen Linienbus mit über 30 Fahrgästen gekapert. Der Fall wird über Tage zum zentralen Medienereignis, Journalisten lotsen zeitweise die Kidnapper. Erst nach 54 Stunden geht die Geiselnahme zu Ende. Bilanz: zwei tote Geiseln, zwei schwer verletzte Geiselnehmer.

Berlin bleibt an diesem Freitag eine solche Tragödie erspart. Dabei gibt es neben Banküberfall und Bus eine weitere, kleine Parallele zu 1988. Auch dieses Mal sprechen Täter und Medien zumindest in einem Fall direkt miteinander. Ein skurriles Telefonat zwischen Täter und SFB-Stadtradio kommt zustande: „Ich geb Ihnen die mal“, sagt der Kidnapper dabei in jovialem Ton auf die Frage nach den Geiseln und reicht das Handy weiter. Einen Hubschrauber und einen Fallschirm will er verlangt, sich zudem versehentlich ins Bein geschossen haben.

Vielleicht zehn Meter über dem gesperrten Sachsendamm sind in den grauen Dachgauben der Häuser 65 und 67 Fotografen in Stellung gegangen – der Blick auf den 185er ist besser da oben. Sie wirken im ersten Moment wie echte Scharfschützen, die in der Nähe des Busses postiert sein sollen. „Mal für umsonst, mal für zehn Euro oder mehr“ würden Anwohner Fotografen ans Fenster lassen, erzählt einer.

Knapp 200 Meter hinter dem Flatterband verhandeln laut Sprecher Matzdorf Täter und Spezialisten des Landeskriminalamts in Sicht- und Rufweite. Wie viel Beamte insgesamt im Einsatz sind, ist vorerst unklar. Allein die Kreuzung Sachsendamm/Gotenstraße sperren über ein Dutzend Polizisten ab, in einem roten VW sitzen Zivilbeamte unter Sturmhauben, die nur die Augen freilassen.

Um 14.16 Uhr ist der Spuk vorbei: Spezialkräfte, hinter dem Bus in Stellung gegangen, befreien die Geiseln, die unverletzt bleiben, treffen bei der Aktion den Täter in die Schulter. Offenbar noch glimpflich für ihn, wie später von der Polizei zu hören ist: Man habe nicht ausgeschlossen, den Mann zu erschießen.

STEFAN ALBERTI