Orchideen muss man haben

Der Job nach dem Examen ist ohnehin Glückssache. Deshalb sollten persönliche Interessen, nicht Konjunkturprognosen die Studienwahl entscheiden. Unbekannte Exoten bieten Vorteile: angenehmes Klima, kleine Seminare und gute Betreuung

von MARTIN KALUZA

So ist das mit den Karrieristen: Anfang der Neunziger brabbelten die Abiturienten, wenn man richtig Geld verdienen wolle, müsse man Jura oder BWL studieren. Eine sichere Sache das. Andere hatten gehört, dass demnächst viele Lehrer gebraucht werden würden. Und kaum ziehen ein paar Jahre ins Land, müssen sich die Absolventen von schadenfrohen Geisteswissenschaftlern fragen lassen: „BWL? Und was willst du damit mal machen?“ Vielleicht im Kulturbetrieb quer einsteigen?

Am Ende des Studiums kann so oder so eine schwierige Arbeitsmarktlage stehen. Warum soll man also nicht gleich studieren, was einen wirklich interessiert? So genannte Orchideenfächer – schön, selten und nur den Banausen zu teuer – bieten in den Schlupfwinkeln der Massenuniversitäten zudem ein angenehmes Studierklima mit übersichtlichen Seminaren und guter Betreuung.

Als kleine Entscheidungshilfe für Studienanfänger haben wir die zehn coolsten Fächer in Berlin herausgesucht, die kaum einer studiert:

Wissenschafts- und Technikgeschichte (TU). Um den angehenden Ingenieuren auch ein Stück humanistische Bildung mit auf den Weg zu geben, haben die Alliierten zur Neugründung der Technischen Universität 1946 eine Reihe von geisteswissenschaftlichen Fächern eingerichtet. Die vergleichsweise kleinen Institute sind in der Regel spezialisiert und zum Teil hochkarätig besetzt. Heute gehört die TU damit zu den wenigen Ausbildungsstätten, an denen gleichzeitig Musikwissenschaft und Schallschutz gelehrt wird. Und das Fach Wissenschafts- und Technikgeschichte bildet sozusagen die Brücke zwischen dem technischen und dem geisteswissenschaftlichen Auftrag der TU. Berufsaussichten: vielleicht Journalist?

Brauereiwesen (TU). Das gibt es in Deutschland sonst nur noch in Weihenstephan. Absolventen sollten in der Regel auch ohne Quereinstieg auskommen. Zwar klagt auch die Bierbranche derzeit über Umsatzeinbußen, doch andererseits wurde auch in Zeiten miserabelster Konjunktur noch immer das eine oder andere Trostbier gekippt. Und während des Studiums nicht zu unterschätzen: Das Bierchen nach Feierabend lässt sich immer wissenschaftlich begründen.

Byzantinistik (FU). Die Orchideenfächer der Freien Universität aufzuzählen, würde den Rahmen sprengen. Doch stellvertretend für eine Reihe wunderbarer philologischer Fächer, die sich einer bestimmten Region oder Kultur widmen, sei hier Byzantinistik genannt. Das Fach befasst sich mit Sprache, Schrifttum, Geschichte und Kunst der mittelalterlichen griechischen Welt. Wer bei Studienbeginn in Alt- und Neugriechisch noch nicht so fit ist, hat das Grundstudium über Zeit, das nachzuholen. Berufsaussichten: Wer so ein Studium (womöglich noch abgeschlossen) im Lebenslauf stehen hat, hat zumindest schon mal ein Gesprächsthema für sein Bewerbungsgespräch und fällt mit Sicherheit mehr auf als der farblose Karrierestudent.

Islamwissenschaft (FU und HU). Lange Jahre mit Desinteresse gestraft, wird sich dieses Fach bei der derzeitigen weltpolitischen Lage weiter zum Experten-Steinbruch für die Medien entwickeln. Gegenstand ist nicht allein die Religion, sondern auch das Recht, die Geschichte und die Kultur des islamischen Orients. Dass die Region im Umbruch steht, macht das Fach so interessant wie notwendig. Zwar wird der Islamwissenschaft an sich öfter vorgeworfen, sie reproduziere die globalen Machtverhältnisse doch nur, indem sie die Region aus westlicher Sicht heraus behandele – aber damit stecken wir schon mitten in einer zentralen Debatte des Fachs. Interesse?

Theaterwissenschaft (FU und HU). Hier geht es nicht etwa darum, wie man Subventionen beantragt, und auch schauspielern lernt man woanders. Die Lehrveranstaltungen heißen „Bilder, trotz allem; Raum und Zeit“ oder „Diskussion aktueller Berliner Inszenierungen“. Galt lange Zeit als Geheimtipp, wenn man Frauen kennen lernen wollte. Berufsaussichten: hängen davon ab, wie gut andere darin sind, Subventionen zu beantragen.

Fischwirtschaft und Gewässerbewirtschaftung (HU). Diese Disziplin gehört zu den handfesteren unter den außergewöhnlichen Berliner Fächern. Auf dem Lehrplan stehen neben Fischereitechnik und Fanggeräten auch Fischpathologie, Zierfischzüchtung, Teichwirtschaft und Umweltstress bei Fischen. Und das alles in einem modernen Bachelor- und Masterstudiengang mit überwiegend englischen Lehrveranstaltungen. Zu bedenken allerdings: Wegen des fehlenden Hochseehafens und begrenzter Teichflächen sind die Aussichten, nach dem Abschluss in Berlin zu bleiben, eher gering.

Gender Studies (HU). Die Idee: Wer und was Mann oder Frau ist, hängt weniger von der Biologie ab, sondern ist in erster Linie ein soziales Konstrukt. Das zu erklären ist eine Wissenschaft für sich und schärft den Blick, das Selbstverständliche in Frage zu stellen. Vorteil: Das Fach ist noch relativ neu in Deutschland. Absolventen sind bislang selten und könnten damit einen Exotenbonus haben. Nachteil: Das Fach ist noch relativ neu in Deutschland. Absolventen müssen sich die nervtötende Frage anhören, ob das überhaupt eine Wissenschaft ist, was sie da studiert haben.

Europäische Ethnologie (HU). Ethnologen fahren gern in abgelegene Ecken entfernter Kontinente und Archipel, um Kultur und Alltag der dort lebenden Menschen zu ergründen. Das gibt es nicht nur für die Naturstämme Amazoniens, sondern eben auch für uns Europäer. Die Veranstaltungen reichen von „Berlin – Gesichter einer Stadt“ über „KZ-Kleidung von Opfern und Tätern aus geschlechtsspezifischer Perspektive“ bis hin zu „Reisen als Wissenschaft“. Früher hieß so was vermutlich einfach Volkskunde. Aber das muss man ja nicht gleich jedem auf die Nase binden.

Experimentelle Mediengestaltung (UdK). An der Universität der Künste scheint es praktisch nichts anderes als Orchideenfächer zu geben. Doch wem Bildende Kunst nicht exklusiv genug ist, sollte Experimentelle Mediengestaltung in Betracht ziehen. Ein Feld, in das die Medien ihrerseits in Zeiten der Anzeigeneinbrüche, sinkender Auflagen und Internetpleiten nicht allzu viel investieren werden. Studiert nicht jeder.

Chordirigieren (UdK). Mal abgesehen von der sozialen Kompetenz, die sich die Studenten dort im Gegensatz zu vielen akademischen Grüblern aneignen: Musik machen ganz ohne Strom, ohne Computer und ohne Instrumente? Respekt. Das ist heutzutage mehr als schräg.

Der Autor, 31, studierte Philosophie, Spanisch und BWL