Ein „Kriegsheld“ auf der Anklagebank

Der bosnische Exkommandant von Srebrenica, Naser Orić, muss sich jetzt vor dem Haager UN-Tribunal verantworten

In Bosnien hatte man nicht mehr mit der Verhaftung von Naser Orić gerechnet. Denn der Exkommandant und Verteidiger von Srebrenica hatte schon vor Jahren erklärt, dass er freiwillig nach Den Haag reisen und dort aussagen würde. Dem 36-Jährigen wird vom Kriegsverbrechertribunal vorgeworfen, 1992 und 1993 sieben Morde an serbischen Zivilisten begangen zu haben. Weiter soll er laut Anklage Gefangene gefoltert, serbische Dörfer geplündert und zerstört haben.

Naser Orić war vor zehn Jahren einer der jungen Männer, die den Kampf gegen die serbischen Belagerer der Enklave Srebrenica aufnahmen. Der ehemalige Bodyguard des serbischen Präsidenten Slobodan Milošević entschied sich zu Beginn des Krieges für die Verteidigung seiner Heimatstadt und stellte sich damit gegen seine alten „Freunde“. Bald zeigte sich, dass er seine Ausbildung anwenden konnte. Er wurde wegen seiner militärischen und organisatorischen Fähigkeiten zum unbestrittenen militärischen Chef der muslimischen Verteidiger.

Die Menschen in der belagerten Stadt vertrauten ihm. Und sahen ihm nach, dass er und seine Unterkommandanten nicht wie die meisten anderen hungerten, dass er mit einem amerikanischen Straßenkreuzer durch Srebrenica fuhr. Denn sie bewunderten seinen Mut. Als er nach einigen Ausfällen aus der Stadt in die serbisch besetzten Gebiete eindrang, serbische Armeestellungen überfiel und Waffen für die Verteidigung erbeutete, wurde er bejubelt.

Dass er jedoch auch dafür verantwortlich war, serbische Dörfer zu überfallen und gegen Zivilisten vorzugehen, war in der Stadt zwar bekannt, wurde aber hingenommen. Schließlich hatten die Serben schon vorher viele muslimische Dörfer überfallen, niedergebrannt und hunderte von Einwohnern ermordet.

In der Weltöffentlichkeit versuchte die serbische Führung den Eindruck zu erwecken, Naser Orić habe mit seiner Kriegstaktik die serbischen Reaktionen erst hervorgebracht. Zur Kriegspropaganda gehört bis heute, Naser Orić für den Tod von 2.000 Serben verantwortlich zu machen und damit die eigenen Verbrechen, das Massaker vom Juli 1995 mit mehr als 7.000 getöteten Muslime, zu entschuldigen. Nach internationalen Schätzungen jedoch sind von muslimischer Seite in Srebrenica um die 80 Serben getötet worden.

Zur tragischen Figur wurde Naser Orić, als er im Juni 1995 von der militärischen Führung der bosnischen Armee zusammen mit elf seiner Unterführer zu Besprechungen nach Tuzla gerufen wurde. Ein Hubschrauber holte die Kommandeure ab. Sie standen nicht mehr zur Verteidigung Srebrenicas zur Verfügung, als einen Monat später der serbische Großangriff begann.

Warum dieser Befehl erging, ist bis heute nicht aufgeklärt. Man weiß nur, dass im Hintergrund von Seiten der UN, der serbischen Führung unter Radovan Karadžić und Ratko Mladić sowie der bosnischen Führung um Alija Izetbegović über die Aufgabe der Enklaven Srebrenica, Zepa und Gorazde verhandelt wurde. Im Gegenzug sollte die Belagerung Sarajevos aufgehoben werden. Was im Abkommen von Dayton auch geschah – nur Gorazde blieb unter muslimischer Kontrolle. Für die überlebenden Frauen von Srebrenica bleibt Naser Orić ein Kriegsheld. Deshalb demonstrierten sie gestern in Tuzla und Sarajevo gegen seine Verhaftung. ERICH RATHFELDER