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uli hannemann, liebling der massenDer Ratte gutes Werk

Die Ratte auf der Fahrbahn gegenüber dem kleinen vietnamesischen Lokal, wo es so gut schmeckt, ist vollkommen platt. Der Grundriss weist nach geschätzten hundert Überfahrungen nahezu die Ausdehnung eines Schäferhundes auf. Grandiose Geometrie des Todes, wie der Körper eines Lebewesens langsam von der Drei- in die Zweidimensionalität transformiert, während umgekehrt reziprok die Seele aus der Eindimensionalität hin ins Unendliche strebt.

Wenn ich ihr sehr breites Grinsen richtig deute, sieht die Ratte nicht unzufrieden aus. Das erste Mal tat es bestimmt noch weh, doch inzwischen ist ihr längst alles egal. Ein Laster von Getränke-Hoffmann. Na und? Und noch mal drüber. Sie bekommt es ohnehin nicht mehr mit. Sie hat es hinter sich.

Wie eine Spionin, die sich dem Feind hingibt, um geheime Informationen zu erlangen, opfert sie ohne Rücksicht auf das eigene Leben und die eigene Moral ihren zum banalen Werkzeug gewordenen Körper. Da, wo sie liegt und sich wie angegossen in den mürben Asphalt schmiegt, wird die Fahrbahn geschont und der Steuerzahler entlastet.

Es ist eine einseitige Vorleistung, die sie da erbringt, denn wer garantiert ihr, dass von dem gesparten Geld nicht strahlungsfähiges Material gekauft wird? Oder Rattengift? Niemand. Dennoch nimmt sie den Märtyrertod in Kauf, weil sie an das Gute im Menschen glaubt. Sie hat Vertrauen. Ein Wunder eigentlich, nach allem, was ihr widerfahren ist. Und noch immer widerfährt. Beziehungsweise wieder überfährt. Diesmal ist es ein Fahrzeug der BSR. Das hätte sie eigentlich gleich mitnehmen können. „Das hieße ja wohl Eulen nach Athen zu entsorgen“, mögen sich die faulen Müllmänner gedacht haben, „nein danke – wir fahren lieber weich.“ Undank ist der Welten Lohn.

Erstaunlich, dass es ausgerechnet eine Ratte ist, die hier ihr gutes Werk vollbringt. Schließlich gilt die überfahrene Ratte landläufig nicht gerade als der Rolls-Royce unter den toten Tieren. Im Gegensatz zum Beispiel zum im Kugelhagel gefallenen Lassie-Hund, der im tapferen Kampf mit einem tückischen Kindersexualmassenmeuchelmörder diesen noch mit sich in den Abgrund des Grand Canyon reißt. Oder das edle Rennpferd, das trotz Grippe als erstes durchs Ziel stolpert, um dort tot zusammenzubrechen, Diagnose Herzmuskelentzündung, Hauptsache gewonnen. Oder die kleine Miezekatze, die beim Großbrand warnend von Haus zu Haus läuft, kratzt, klingelt und maunzt, bis sie von der Rauchvergiftung dahingerafft wird. Oder die Amöbe, die durch Veränderung des Säure-Base-Gleichgewichts im Weltmeer eine Umlenkung des Golfstroms und somit die Klimakatastrophe und die Vernichtung allen irdischen Lebens, so wie wir es kennen, verhindert. Sie alle bekommen Staatsbegräbnisse und viel Lob in einschlägigen Tierfibeln. Die Ratte dagegen ist für alle bloß der Arsch. Sie bekommt noch nicht mal einen feuchten Händedruck. Doch sie kann es verschmerzen, genauso wie den Fünftonner der Bundeswehr. Zack, drüber: Töten im Ausland reicht denen wohl nicht mehr.

Dezent und rücksichtsvoll macht die Ratte weiter hübsch auf Briefmarke. Vielleicht hatte sie ja beim ersten Überfahren noch mit dem Gedanken jongliert, sich mit den Vorderfüßen quer über die Straße und in das kleine vietnamesische Lokal hineinzurobben. Dort auf dem Boden zwischen den Gästen, die gerade ein leckeres Dim Sum verspeisen wollen, hätte sie vorwurfsvoll quiekend oder in stummer Anklage auf ihren zerquetschten Hinterleib gezeigt. Danach sich mit letzter Kraft am Kessel hochgezogen und mit Todesverachtung in die gute Rinderbrühe gestürzt. Die Leute hätten gewiss gestaunt. Doch im Grunde wäre das für alle Beteiligten eine echte No-Win-Situation gewesen, wie ich zu sagen weiß, seit ich so eine moderne Freundin habe. „Lasst Blumen sprechen“, steht auf dem nächsten Lastkraftwagen. Und immer mehr franst die sterbliche Hülle des braven Tieres an den Rändern aus. ULI HANNEMANN

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