Das letzte große Geheimnis der Popgeschichte

Stellen Sie sich jetzt einfach mal vor, dass da jeden Morgen ein Mensch mit zu Ihnen ins Büro kommt, der einen Sack über dem Kopf trägt. Und der diesen Sack auch nicht ablegen will, den ganzen Tag über. Niemals. Sie können sich nicht einmal sicher sein, dass da immer der gleiche Mensch unter dem Sack steckt, sie haben ja noch nie in sein Gesicht gesehen.

Aber sonst gibt es eigentlich nichts an dem Menschen mit dem Sack auszusetzen. Er macht schließlich seine Arbeit gut.

So ist das bei den Residents, dem US-amerikanischen Künstlerkollektiv, das sich nur deswegen nicht nach einzelnen Namen aufdröseln lässt, weil die Residents damit noch nie an die Öffentlichkeit gegangen sind. Sieht man sie da, verstecken sie ihre Köpfe hinter Augäpfelmasken. Ihre Arbeitskleidung. Ihre Identität kennt man bis heute nicht.

Solche Anonymität aber ist ja nur ein Weg, sich mit seinem privaten Leben bedeckt zu halten. Das geht gut auch genau andersherum, indem man der Öffentlichkeit, die nach Privatem giert, derart viele Möglichkeiten und Modelle präsentiert, dass man daraus genauso wenig schlau werden kann. Bob Dylan wäre so ein Fall, den die Öffentlichkeit nur derart zu fassen bekommt, indem sie dem Mann einfach alles zutraut. Was Bob Dylan egal ist, sollen sie doch spekulieren, wie das auch Todd Haynes in seiner filmischen Dylan-Annäherung tat, deren Titel eigentlich alles sagt: „I’m not there“.

Dabei will man einfach nur verstehen. Den Schlüssel dazu glaubt man im Privaten zu haben. Als ob es zu einem tieferen Verständnis wirklich von Bedeutung wäre, wenn man zum Beispiel weiß, dass das Lied x deswegen geschrieben wurde, weil dem Liedschreiber vorher yz widerfahren ist.

Die Residents muss man solche Dinge gar nicht erst fragen, als Künstler haben sie kein privates Leben, nicht öffentlich. Sie interessiert sowieso weniger, wie was entsteht, sondern wie man dann damit umgeht. Also stellen sie mit ihrer seltsamen Mutantenmusik lieber selbst Fragen an die Kulturproduktion, auch wenn die sich von der früheren Radikalität im Lauf der Jahre zu einer besseren Durchhörbarkeit entwickelt hat. Gar nicht so lange ist es her, dass sie sogar mal kokett einen Blick unter ihre Augäpfelmasken werfen ließen. Sie seinen nämlich, bekannten sie, John, Paul, George und Reingold.

Noch mehr von den Residents erfährt man vielleicht nächsten Dienstag um 20 Uhr bei ihrem Konzert im Potsdamer Nikolaisaal. THOMAS MAUCH