„Ich war in einem Dilemma“

Nicht absichtlich habe er Jakob von Metzler umgebracht, sagt Magnus G. am Tag seines neuen Geständnisses vor dem Landgericht Frankfurt. Sterben musste Jakob, weil ein Lebenstraum mit Freundin und Ibiza-Clique nicht platzen sollte

aus Frankfurt/M. KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

„Ich habe etwas Schreckliches getan. Und ich würde es gerne wieder rückgängig machen.“ Sein Leben würde er opfern, wenn der kleine Jakob dadurch wieder lebendig werden würde, sagt Magnus G. am Tag seines Geständnisses. Angeklagt ist er des Mordes an Jakob von Metzler, 11 Jahre alt. Leichenblass präsentiert er sich den Fotografen und Kameraleuten. Ein dünner junger Mann im blauen Pullover sitzt da auf der Anklagebank – an seinem 28. Geburtstag. Erst kurz vor Verhandlungsbeginn werden ihm die Handschellen abgenommen; in der Untersuchungshaft hatte er damit gedroht, sich auf die „Pressemeute“ stürzen zu wollen.

Gestern legte er vor der 22. Strafkammer am Landgericht in Frankfurt ein umfangreiches Geständnis ab. Unter Tränen trug G. vor, dass er nie daran gedacht habe, den kleinen Jungen, dessen Geschwister er gut kannte, zu töten. Er habe ihn nur zum Schweigen bringen wollen; dabei sei Jakob erstickt. Mit dem Geständnis ist sichergestellt, dass die Verhandlung in der „Mordsache Jakob“ wie geplant fortgesetzt werden kann. Weil ihm bei einer polizeilichen Vernehmung mit dem Einsatz der Folter gedroht worden war, hatte das Gericht am ersten Verhandlungstag alle bisherigen Aussagen des mutmaßlichen Delinquenten für null und nichtig erklärt.

Die vom Kammervorsitzenden zunächst begonnene – zähe – Befragung des Angeklagten nach den Verhältnissen in Schule und Elternhaus wird rasch abgebrochen. G. wolle „am Stück“ aussagen, merken seine Verteidiger an. Die Kammer willigt ein. G. spricht eine deutliche Sprache. Zweimal jedoch unterbricht das Gericht am Vormittag die Verhandlung; der Angeklagte wird von Weinkrämpfen geschüttelt – dann, wenn er von seiner Freundin spricht. Dazwischen geht es ihm um sein Leben.

Ein kränklicher und schüchterner Junge sei er gewesen. Richtige Freunde habe er nicht gehabt; nicht in der Grundschule und zunächst auch nicht auf dem Gymnasium. Nur die Mutter sei immer für ihn da gewesen. Der Vater, ein Bauingenieur, der den Jungen beim Taschengeld knapp hielt, kümmerte sich nur am Wochenende um Magnus G. und seinen drei Jahre älteren Bruder. Es habe ihn schon gewurmt, dass er als Kind und Jugendlicher über weniger Geld verfügte als seine Klassenkameraden. Und deshalb habe er schon früh damit angefangen, selbst Geld zu verdienen. G. verteilte Prospekte im Viertel oder räumte im Supermarkt die leeren Regale wieder voll. Und er lebte sparsam. Mit 16 Jahren schloss er einen Bausparvertrag ab.

Doch dann änderte sich alles. G. lernte Victor kennen, einen Jungen aus sehr gutem Hause. Sie wurden Freunde. Und als G. 18 Jahre alt war und den Führerschein hatte, bereisten sie zusammen halb Europa. G. war beeindruckt. Ob in Kitzbühl oder auf Ibiza: Die Familie von Victor hatte überall Häuser. Und alles war umsonst – auch für ihn. „Diese Welt hat mir imponiert“, sagt er. Eine ganz Clique reicher junger Leute fand sich dort ein. Wieder zu Hause in Frankfurt, gehörte G. automatisch weiter dazu: „Ich war akzeptiert, auch weil ich ein paar Jahre älter war.“ Doch die materiellen Dinge, so G. weiter, hätten eine immer größere Rolle gespielt. Die Markenkleidung musste stimmen; das Auto auch. Die Folge: G. lebte weit über seine Verhältnisse. Extrem prekär wurde seine finanzielle Lage, als er die 16 Jahre alte Katharina kennen und lieben lernte: „Sie wollte von allem nur das Beste haben. Und sie war extravagant, extrovertiert und egoistisch.“ Um ihr zu imponieren und um weiter zur „Ibiza-Clique“ dazugehören zu können, ging er an seine letzten Reserven. Er verkaufte alle Aktien, die er nach einem Geldgeschenk des Vaters gekauft hatte, löste den Bausparvertrag auf und plünderte sein Konto. Aber es sei ihm da – Ende 2001 – schon klar gewesen, dass das alles nicht mehr lange gut gehen würde. Sein ganzes „Lügengebäude“ – seinen Freunden und seiner Freundin hatte er sich als erfolgreicher Börsenspekulant und Anwaltsgehilfe präsentiert – drohte aus akutem Geldmangel einzustürzen. Glaubt man seinen Einlassungen, wäre unter dessen Trümmern sein „Lebensglück“ begraben worden: „Ich hatte meine Traumfrau gefunden; und ich hatte die Freunde, die ich mir immer gewünscht habe.“

„Ich war in einem Dilemma!“, so der Angeklagte. Der Gedanke, ein Verbrechen zu begehen, sei ihm schnell gekommen. Aber er habe ihn wieder verworfen, weil er doch „immer ein rechtschaffener und gesetzestreuer Mensch gewesen“ sei. Doch dann habe er keinen anderen Ausweg mehr gesehen und angefangen, die Entführung des kleinen Jakob zu planen. Ein Banküberfall oder ein Raub sei für ihn nicht in Frage gekommen: „Zu gewalttätig.“ Auch die Entführung eines Erwachsenen verwarf er schnell. Zu groß sei dabei das Risiko, falls es zu einer „körperlichen Auseinandersetzung“ komme. Dann also der Junge. G. passte den Schüler am Tattag an der Bushaltestelle ab – und lockte ihn in seine Wohnung. Ermordet habe er ihn nicht, sagte G. am Nachmittag. Er habe ihm den Mund verklebt, um ihn am Schreien zu hindern; dabei sei der Junge wohl erstickt. Kein Mord also? Totschlag? Aber: Hätte ein lebender Jakob seinen Entführer nicht umgehend verraten? Dreizehn Verhandlungstage stehen noch aus.