Schlappe Pseudorevolte

Kein Aufbrechen der fremd verschuldeten Unmündigkeit, stattdessen wechselseitige Intrigen, starker Triebstau und endlose Lethargie: Andreas Kriegenburg inszeniert am Thalia Theater „Bernarda Albas Haus“ von Federico Garcia Lorca

von PETRA SCHELLEN

Natürlich ist Bernarda Albas Haus ein politisches Stück. Ein Drama über die Implosion eines totalitären Systems, das 1936 die Stimmung vor Ausbruch des spanischen Bürgerkriegs erspürte und besondere Tragik dadurch gewinnt, dass Autor Federico Garcia Lorca im selben Jahr 38jährig von Falangisten ermordet wurde. 1945 wurde das Werk in Buenos Aires uraufgeführt; in Spanien darf Lorca erst seit 1960 wieder gespielt werden.

Ein Kontext, der genauso zum Stück gehört wie die häufige Folklorisierung – eine Falle, in die auch Andreas Kriegenburg in seiner jüngsten Inszenierung am Thalia tappt: Warum müssen Bernarda und Töchter sämtlich schwarzhaarig sein und ein übers andere Mal spanische Weisen singen; warum muss Magd La Poncia (Judith Hofmann) – und sei es als Norne – ein Flamenco-Kleid überziehen?

Überflüssig sind solche Klischees, die das Drama formal enger an den historischen Kontext binden, als es der Regisseur in seiner Gesamtdeutung tut. Denn dass er den Zusammenbruch des Systems Familie – Bernarda hält ihre fünf Töchter und ihre Mutter wie Gefangene – auf jüngst vergangene totalitäre Regimes bezieht, ist offensichtlich. Und dass Menschen hier einer Ideologie geopfert werden, suggeriert schon das Bühnenbild, an dessen Rückwand der Gekreuzigte aus Dalis Bahnhof von Perpignan prangt; Lorca war übrigens eng mit dem Surrealisten befreundet. Aufgezogen ist das Gemälde auf zerknittertes Marmor-Imitat. Eine schlichte Symbolik, die auch dadurch nicht gewinnt, dass die Töchter als Marionetten in zugleich von oben und frontal präsentierten Betten hängen – ein schnell verpuffter Effekt.

Ewiglich dagegen währt der Triebstau der ungewollt ledigen Töchter Bernardas (Verena Reichhardt) – ein klaustrophobisches Bild, das an schlichte freudsche Deutungen erinnert und in subtileren Facetten nicht ausgeleuchtet wird. Im Gegenteil: Die Schwestern bekriegen sich „frauentypisch“, neiden einander den Mann und versuchen nicht, Identität über andere Fixpunkte zu definieren. Dabei ist bloß Angustias (Victoria Trauttmansdorff) verlobt – allerdings mit einem, der auch mit ihrer Schwester Adela (Claudia Renner) schläft.

Handlungsspielräume? Sind schwer zu orten angesichts lauernder Nachbarn, deren Nachrede sogar Bernarda fürchtet. Sie, die alles im Griff zu haben glaubt – durch Terror, unter dessen Knute die Töchter kein Eigenregulativ entwickeln konnten. Doch ganz einsichtig wird nicht, warum die Schwestern im Gefängnis ihrer Sehnsüchte ausharren – und warum sich auch die jüngste, aufmüpfigste bloß ihrem Geliebten unterordnen will und dies als Revolte verkauft.

Ob sie nach Sex oder Freiheit gieren, ist dabei letztlich nebensächlich; Fakt bleibt die durch keinerlei Initiative aufgebrochene Unmündigkeit des Individuums. Warum lenkt Kriegenburg den Fokus nicht auf das Vertrocknen privater Visionen; wieso verharrt er in der Klage darüber, dass jeder Opfer des Systems ist?

Und wenn der Stoff schon quasi eins zu eins überliefert wird: Warum bedarf es dafür all der Redundanzen und expressiven Ausbrüche? Wieso schielt man auf den schnellen Lacher, wenn Bernarda ins finale Töchter-Chaos hinein sagt: „Ich hole mein Gewehr“? Woher rührt die Notwendigkeit, vom antisierenden Tragödienduktus – die Töchter als Schlangenbrut unter nachtblauem Himmel – direkt in den Klamauk abzudriften?

Brüche, die ähnlich irritieren wie die Tatsache, dass Kriegenburg Einzelnen ohne Not die Würde raubt: Gelächter bricht los, als die – per Pferdegebiss verunstaltete – Angustias sagt, sie sei froh über jeden Freier. Klingt da Arroganz oder gar Machismo angesichts körperlicher Unzulänglichkeiten an? Häme über die Andacht einer Frau, die sich erstmals geliebt wähnt? Und warum bricht der Regisseur nicht die Figur der Bernarda, die konstant Erstarrung mimt und letztlich Statistin bleibt?

Unentschiedenheiten, die eine wenig klare Haltung bezüglich heute relevanter Facetten des Stücks offenbaren. Auch dass die Schwestern nach dem Suizid der schwangeren Adela einen Tisch über die Mutter wälzen, tröstet nicht: Selbst diese Pseudorevolte bleibt Effekt, der so wenig trägt wie etliche Spots des fast dreistündigen Abends.

Nächste Aufführung: heute, 20 Uhr, Thalia. Die ursprünglich vorgesehene Macbeth-Vorstellung entfällt.