Wider alle Fußballweisheit

Hertha BSC gewinnt trotz Unterzahl und einer Vielzahl vergebener Chancen mit1:0 gegen den VfL Bochum. Die Champions League rückt langsam in Reichweite

Der Fußball hat im Lauf der Zeit eine Menge Weisheiten zutage gefördert: Ein Spiel dauert neunzig Minuten, lautet einer der schlauen Sprüche. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel, ein anderer. Auch sehr beliebt: Wer seine Chancen kläglich vergibt, bekommt später die Rechnung präsentiert.

Diese Erkenntnis schwirrte am Samstagnachmittag im Kopf von Hertha-Trainer Huub Stevens herum wie ein Schwarm lästiger Fliegen. Seine Mannschaft legte es regelrecht darauf an, die Strafe fürs Danebenschießen, Bälleversemmeln und Chancenverhunzen zu bekommen. Allein Marcelinho mit mehreren Gelegenheiten hätte die Sache im Olympiastadion klar machen können. Aber auch seine Kollegen machten es nicht viel besser. Michael Preetz zielte haarscharf auf den Pfosten. Alex Alves verrannte sich im Abwehrdickicht.

Kein Ball wollte rein ins Tor von Rein van Duijnhoven, der trotz altersbedingt recht müder Reflexe immer wieder ein Körperteil ans Leder brachte. Als dann in der 41. Minute Dick van Burik mit Gelb-Rot vom Platz flog, schwante Stevens Böses. Burik hatte in der 39. Minute Ex-Herthaner Dariusz Wosz umgesäbelt, 120 Sekunden später wieder eine Attacke ins Bochumer Gebein gestartet, diesmal auf Thomas Christiansen, was Schiedsrichter Franz Xaver Wack mit der Herausstellung belohnte.

Stevens wartete eigentlich nur noch auf das schlimme Ende, welches die Fußballweisheit zu versprechen droht. „Das rächt sich“, hörte man so manchen murmeln. Doch es kam anders. Sehr zur Verwunderung des Holländers. „Normalerweise“, sagte Stevens nach dem Spiel gegen den VfL Bochum, „gewinnt man so eine Partie nicht mehr, wenn man so viele Chancen auslässt.“ Ganz richtig. Wenn man jedoch auf eine Bochumer Mannschaft trifft, die die Überzahl nicht zu nutzen vermag und die obendrein in der Chancenverwertung mit Hertha BSC in harte Konkurrenz tritt, dann ist auch ein Sieg wider alte Fußballweisheiten möglich.

„Letztendlich ist dieses Spiel mit großer Enttäuschung behaftet“, sagte Peter Neururer, VfL-Trainer, in seiner typisch geschraubten Art und berichtete dann, dass er in der Bochumer Kabine in „lauter leere Augen“ geblickt habe – in die Augen einer Mannschaft, die immer tiefer in den Abstiegsstrudel gerät. Hertha BSC indes hat sich vorn festgesetzt: auf Platz vier, nur noch drei Punkte von Borussia Dortmund und einem Platz entfernt, der den Weg in die Champions League weisen könnte. Vor 38.000 Zuschauern sei es vor allem „das Glück des Tüchtigen“ gewesen, das Hertha BSC drei Punkte beschert habe, sagte Stevens.

Manager Dieter Hoeneß war derweil ganz angetan vom Sturmwirbel der Herthaner, berauschte sich an der Vielzahl der Einschussmöglichkeiten und wollte seinen Mannen keinen Vorwurf machen ob der jämmerlichen Erfolgsquote im gegnerischen Strafraum. „Bis zum Platzverweis war das Traumfußball, wir hätten es uns allerdings etwas einfacher machen können“, sagte Hoeneß. Auch Mittelfeldspieler Thorben Marx erkannte, dass es „nicht so ein Tag war, wo die Bälle reingehen“. Einer schaffte es schließlich doch. Eine Flanke von Bart Goor nahm Pal Dardai mit dem linken Fuß ab: 1:0 in der 64. Minute.

Das Spiel war sodann gelaufen, der Bann gebrochen, Stevens düstere Ahnung widerlegt. Und am kommenden Samstag spielt Hertha in Rostock.

MARKUS VÖLKER