Die Spione, die aus der Verbannung kommen

Mit dem Umzug des BND nach Berlin beginnt eine neue Ära des Nachrichtendienstes. Mit den Erfahrungen aus der NS-Zeit galt jahrzehntelang das Dogma, dass Regierung und ihre Agenten nicht unter demselben Dach wohnen sollten

Sehen kann man sie nicht. Doch schon seit Mitte der 90er-Jahre sind 200 Schlapphüte des Bundesnachrichtendienstes (BND) aus dem betulichen Pullach bei München nach Berlin abkommandiert. Als so genannte Kopfstelle bilden sie seither die Vorhut des deutschen Auslandsgeheimdienstes in der hauptstädtischen Diaspora um die Nähe des Dienstes zur Regierung zu demonstrieren.

Der Rest der knapp 6.000 BND-Agenten musste sich bislang keine Sorgen um das Einfamilienhäuschen im schönen Isartal machen. Doch nun ist alles anders. Bis zum Jahr 2008 soll der gesamte Bundesnachrichtendienst komplett an die Spree umziehen. Angesichts der veränderten Sicherheitslage, so heißt es beim BND, sei es wichtig, „die Bundesregierung und andere Entscheidungsträger durch unsere Nähe zu stärken“. Gemeint ist damit unter anderem die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus, der eine rasche Information von Regierung und Bundestag notwendig mache.

Doch mit der Verlagerung des Dienstes geschieht mehr als nur ein schlichter Agentenumzug. Eine Ära geht zu Ende – eine neue beginnt. Schon Reinhard Gehlen, der Gründer der „Organisation Gehlen“ (1947) und erste Präsident des Bundesnachrichtendienstes, der 1956 aus seiner „Org“ hervorging, träumte von einem unmittelbaren Zugang zur Regierung. Doch dem ehemaligen Wehrmachtsgeneral, der während des Nationalsozialismuses die militärische Geheimdienstabteilung „Fremde Heere Ost“ geleitet hatte, blieb diese Ehre verwehrt. „Mit solchen Leuten“ wolle man nicht unter einem Dach leben, hieß es nicht nur bei den ersten CDU-Regierungen unter Konrad Adenauer und Ludwig Erhardt.

Dies ist nun vorbei, der Bundesnachrichtendienst ist wieder hoffähig geworden. Einen nicht geringen Anteil an dieser Entwicklung haben insbesondere seine letzten zwei Präsidenten. Als der ehemalige Direktor der „Gauck-Behörde“, Hansjörg Geiger, den BND übernahm (1996–1998), hatte der Dienst gerade die „Plutoniumaffäre“ mit Ach und Krach überstanden. Die Behörde müsse endlich wieder „raus aus den Schlagzeilen“ und brauche eine neue Motivation, verlangte der damalige Geheimdienstkoordinator in Kohls Kanzleramt, Bernd Schmidbauer. Dafür schien Geiger genau der richtige Mann.

Schon bei seinem Wechsel von der Gauck-Behörde auf den Sessel des Verfassungsschutzpräsidenten in Köln hatte Geiger, der zuvor die Geheimnisse der Stasi aufgedeckt hatte, festgestellt, dass es zwischen „rechtsstaatlichen“ und unrechtsstaatlichen Geheimdiensten erhebliche Unterschiede gebe.

„Wir müssen uns nicht verstecken“, lautete die Devise des heutigen Staatssekretärs im Justizministerium. Kaum im Amt ließ er am Pullacher Eingangstor ein großes Schild mit der Aufschrift „Bundesnachrichtendienst“ anbringen und lud kurz darauf Journalisten zur Besichtigung des Lage- und Informationszentrums, des BND-Nervenzentrums, ein.

Sein Nachfolger August Hanning (seit 1998) setzt den Weg der „neuen Offenheit“ fort. Hanning, der im Dienst gern eine Krawatte mit dezent eingewebtem BND-Logo trägt, gilt als Entdecker des neuen Einsatzgebietes „Devotionalien“. Und so soll es denn ab Herbst in der neuen Dependance der Spione auch einen BND-Shop geben. Vom schwarzen Baumwollslip mit der Aufschrift „Nur für den Dienstgebrauch“ über Manschettenknöpfe und Basecaps bis zu Golfbällen mit BND-Logo wird es dann für den Hobbyagenten alles geben, was bislang nur den Dunkelmännern vorbehalten ist.

Ob es solche Dinge, die die Welt nicht braucht, waren, die Gerhard Schröder beeindruckt haben, ist nicht bekannt. Die Bilanz der tatsächlich relevanten BND-Erkenntnisse im Terrorismusbereich ist zumindest mager. So wurden, einem Bericht des Parlamentarischen Kontrollgremiums von Anfang April zufolge, aus der internationalen Telekommunikation zwischen Juli 2001 und Juli 2002 knapp 10.000 Informationen zum internationalen Terrorismus herausgefiltert. Als „nachrichtendienstlich relevant“ galten davon 73. Doch nur in einem einzigen Fall leitete der Generalbundesanwalt ein Ermittlungsverfahren ein – und auch in anderen Bereichen sieht es demnach nicht besser aus. OTTO DIEDERICHS