Rechts-Rock ohne Sieg-Heil

Rechtsradikales Konzert in Boizenburg bis in den frühen Morgen: Die Fans verzichteten auf „Sieg-Heil-Gebrüll“ und die Polizei verzichtete darauf, die Auflösung anzuordnen

Schwerin taz ■ Die Vorwürfe gegenüber dem Innenministerium in Schwerin sind schwer. „Die Polizei hätte das Rechtsrock-Konzert auflösen müssen“, betont Eckhard Heins von der Landesweiten Opferberatung für Betroffene rechter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern e.V. (LOBBI). Statt dessen konnten an die 300 Neonazis am Samstag vor einer Woche in Boizenburg die Auftritte der Nazibands „Ultima Frontiera“, „Legion of Thor“, Path of Resistance“ und „Einherjerim“ genießen – zwar unter Beobachtung der Polizei, doch ansonsten unbehelligt.

Dabei hätte, so Heins, die Einsatzleitung die Auflösung nach dem Konzerterlass anordnen müssen. Dieser sei 1999 „extra gefaßt worden, um solche Veranstaltungen, wo nationalsozialistisches und rassistisches Gedankengut vertont vermittelt wird, unterbinden zu können“. Der Erlass, bestätigt ein Pressesprecher des Schweriner Innenministeriums, gibt Handlungsmöglichkeiten vor, „doch der Einsatzleiter sah keinen Anlass zum Einschreiten“.

Nach einer langen Verfolgung hatte die Polizei am Abend den Veranstaltungsort in der kleinen Elbstadt ausgemacht. Über sechs Stunden waren die Rechten unterwegs, um nach zwei gescheiterten Versuchen schließlich in einer „privaten Lagerhalle“ die Rechtsrock-Bands erleben zu können. „10 Euro Eintritt waren normal, für einen schönen Abend, ohne Störung seitens der Polizei“, schreibt ein Gast auf einer internen Naziwebsite. An die 400 Polizeibeamte und zwei Wasserwerfer waren vor Ort. Aber nachdem ein Polizist der „Mobilen Aufklärung Extremismus“ (MAEX) mit dem Neonaziführer Christian Worch die Halle kurz besichtigte und verkünden ließ, dass „strafbare Äußerungen, wie beispielsweise Sieg-Heil-Gebrüll unterbleiben soll“, schritt kein Beamter mehr ein.

Die Polizei handelte auch nicht, als ein Beamter vergeblich versuchte, einen Gast, der ihn „geboxt“ hätte, zu erfassen: „Ein halbes Duzend Leute ging dazwischen, und der Polizist ging des Mannes verlustig“, triumphiert Worch im Internet. Kurz habe die Einsatzleitung überlegt, die „Personalien aller Anwesenden festzustellen“, so Worch, mit dem die Polizei verhandelte, es dann aber doch unterlassen. „Dies ist mir nicht bekannt“, erklärt der Innenministeriums-Sprecher, „das kann auch Propaganda sein“. Vorwürfe, das Innenministerium würde nicht konsequent gegen Rechtsrock-Konzerte vorgehen, seien unbegründet.

An diesem Samstag, weiß Worch erfreut zu berichten, „waren die Zugabe-Schreie fast so laut wie vorher die Anlage“, und der nette Abend ging erst gegen Morgen zu Ende. Andreas Speit