: Anno 1404 geschmeidig gefeiert
Kost und Logis gegen Trommeln und Kostüm-Zauber: Der Bremer Sambakarneval hat sich seinen unkommerziellen Charakter seit 1985 erhalten. Die taz begleitete eine Samba-Truppe aus Frankfurt und eine aus Berlin durch ihr Wochenende an der Weser
„Freiheit verkündige ich Euch, die Karl und mancher andere Fürst fürwahr dieser Stadt gegeben hat. Dafür dankt Gott, dies ist mein Rat“, steht auf einem schief sitzenden Schild in Mittelhochdeutsch fünf Meter über dem Bremer Marktplatz. Die Domuhr schlägt zwölfmal.
Anne Breick, in edlem Zobel als Fürst von Breickenstein und Claudia Halm in jacquardbemustertem Brokat als Fürstin von und zu Halms johlen: „Nun denn Untertanen, lasst tönen eure tumben Schlagwerkzeuge!“ Der Bremer Roland feiert Geburtstag. Vor 600 Jahre wurde er vor dem Bremer Rathaus aufgestellt – „Anno 1404“ ist deshalb das Motto des 19. Bremer Karnevals, den Anne, Claudia und weitere 20.000 Narren am Wochende in Bremens Innenstadt feierten.
Zu den rund 200 Samba- und Maskengruppen aus dem gesamten Bundesgebiet gehört auch die „Female Samba Connection“ aus Frankfurt am Main. Die Musikerin Anne und die Softwareentwicklerin Claudia sind die musikalischen Leiterinnen der 17 Köpfe zählenden Frauen-Truppe. „Funkiger Reggae House Sound“, so benennt Anne ihren Spielstil. Das hebt sich ab. Die Bezeichnung „Samba“ erscheint in der Szene zu einfallslos.
Am Freitag in Bremen „läuft alles wieder mal unglaublich geschmeidig“, findet Anne. Gleich am Bahnhof werden sie von einem Betreuer des größtenteils ehrenamtlich arbeitenden Festivalteams abgeholt und zu einem der über 1.270 bereitgestellten Übernachtungsplätze chauffiert. Anne, Claudia und ihre Truppe schlafen diesmal im Kinderhaus Sielwall. Dafür zahlen sie nichts, im Gegenzug spielen sie ohne Gage. So ist das beim Bremer Karneval seit 1985. „Nicht das Geld steht hier in Bremen im Vordergrund“, sagt Anne, die seit sieben Jahren jedes Jahr zum Festival kommt. „Es sind die Begegnungen, der positive Anklang für die kommende Samba-Saison.“
Svenja Wagner von der Berliner Truppe „Surdo & Gomorrah“ ist ebenso angetan von der Organisation. „Bei denen kannst du mit jedem noch so bekloppten Problem zu jeder noch so verblödeten Tageszeit auflaufen. Die kümmern sich“, sagt sie. Zu zwanzigst schläft die Truppe auf dem Boden der Turnhalle im Altersheim Riensberg. Frühstück und Mittagessen gibt’s im Kontorhaus. Kostüme haben „Surdo & Gomorrha“ keine. „Die Idee, als mittelalter Goudakäse 1404 zu kommen, hat nicht so recht hingehauen“, sagt Svenja, „außerdem wollten wir beim Umzug mal auf der Seite der Zuschauer stehen.“ Das haben sie schließlich nicht durchgehalten.
Am Tag des Umzugs verwandeln sie sich kurzum in fantastische Geistwesen: Aus Handtüchern, Wäsche und Schminke ist spontan sinnliches und geisterhaftes entstanden. Überhaupt haben sämtliche Karnevalsgruppen enormen Einfallsreichtum nach Bremen gekarrt. Neben den üblichen Stelzenläufern, Jongleuren, Burgfräuleins und Hofnarren tanzen bepelzte Pestratten, komplette Spielkartensätze und Schachfiguren vom Marktplatz über die Ostertorstraße ins Viertel hinein.
Auch die Freinacht der Masken gilt als einer der Höhepunkte. „Wie fühlt sich das Mittelalter an?“, ist die zentrale Frage der Initiatoren des geschlossenen Erlebnisparcours. Eine Zeitreise ist entstanden. Ein kontemplativer Trip in die Gefilde der Seligen, auf dem der Besucher rund um einen kleinen See, gestaltet als bedrohlicher Ort der Verdammnis, geführt wird.
Für Svenja, Anne und Claudia ist das eingezäunte Areal hinter der Bremer Kunsthalle weniger von Bedeutung. Für sie beginnt der eigentliche Höhepunkt am Samstagabend im Kulturzentrum Schlachthof: Sich austauschen, Kontakte knüpfen und natürlich Feiern bis zum Rausschmiss ist angesagt.
Abschluss für alle Beteiligten ist das vom Blaumeier Atelier organisierte Sonntagsfrühstück. Als danach die Karnevalisten entschwunden sind, bleibt Roland der Riese, der größte seiner 26 Kollegen in Deutschland, ungeschminkt zurück. 1404, bei seiner Aufstellung war er von Kopf bis Fuß bunt bemalt.
Hannes Krug
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