nebensachen aus são paulo
: Es lebe der Sport!

Warum Rubens Barrichello nicht zum Helden taugt

Drei Jahre habe ich neben der Interlagos-Rennstrecke in São Paulo gelebt und sie verflucht - wegen der Hobbypiloten, die jahrein, jahraus ihre frisierten VWs oder Chevrolets über die Piste jagten. Der Formel-1-Zirkus hatte hingegen Unterhaltungswert. Auch wenn der von hier stammende Rennfahrer „Rubinho“ Barrichello regelmäßig scheitert, ist Interlagos ein Fest – vor allem für fliegende Händler, Zaungäste und Rennverrückte aus nah und fern. Die Eintrittspreise liegen weit über dem monatlichen Mindestlohn von 70 Euro, mit dem sich viele Anwohner begnügen müssen. Manche deklarieren den Balkon ihrer Sozialwohnung mit Pistenblick zur VIP-Lounge und verdienen so etwas hinzu.

Die Piloten haben immer wieder originelle Einsichten. In São Paulo „brauchst du nach 17 Uhr ein kugelsicheres Auto“, weiß Ralf Schumacher. Juan Pablo Montoya ist gelassener: „Ich komme aus Kolumbien.“ Nach einer Tour durch den 18-Millionen-Moloch merkte Heinz-Harald Frentzen, warum Brasiliens Rennfahrer so gut sind: „In São Paulo muss man aufpassen, was die anderen Fahrer machen“, der hier übliche Fahrstil „erleichtert die Umstellung auf Autorennen“.

Ohne den Verkehr aus São Paulo kann ich gut leben. Aber der F-1-Virus meldet sich immer zur Liveübertragung aus Interlagos. Kurios war das Rennen vor einer Woche. Nach starkem Regen purzelten die Piloten gleich reihenweise aus der gleichen Kurve. Diesmal verpasste Barrichello den Sieg, weil ihn sein Ferrari-Team nicht rechtzeitig zum Auftanken bestellt hatte. Urplötzlich zu Ende war das Rennen nach einem „spektakulären Crash“. So etwas ist ja, wie wir seit Reinhard Fendrichs Song „Es lebe der Sport“ wissen, das Salz in der Suppe des Grand Prix. Und dass Bruchpilot Alonso auf Platz drei landete und der Sieger Fisichella erst am letzten Freitag feststand, überrascht nur Außenstehende.

Apropos Crash: Als der Paulistaner Ayrton Senna 1994 im italienischen Imola in eine Mauer raste, gab es drei Tage Staatstrauer. Zwar hatten es auch die Landsleute Emerson Fittipaldi und Nelson Piquet mehrfach zum WM-Titel gebracht, aber zum wahren Nationalhelden gehört der standesgemäße Abgang.

Auch Barrichellos größter Fehler ist es, kein Senna zu sein. Ferrari legte ihn auf die Rolle der Nummer zwei fest: Letztes Jahr bekam er einmal die Order, Michael Schumacher auf der Zielgeraden passieren zu lassen, damit der seine WM-Führung ausbauen konnte. Rubinho parierte. Das empörte all jene, die die F-1 noch als sportlichen Wettkampf begreifen wollen – für Barrichello gab es nur Mitleid oder Verachtung.

In diesem Jahr hätten laut neuer Gesetzgebung fünf Teams auf Zigarettenwerbung verzichten müssen. Darauf drohte der Zirkus, São Paulo künftig links liegen zu lassen. Prompt veranlasste Bürgermeisterin Marta Suplicy die Bundesregierung, das Gesetz außer Kraft zu setzen. Dazu Formel-1-Boss Bernie Ecclestone: „Das ist eben Brasilien.“ Oder, um es mit Fendrich zu sagen: Das ist halt am Sport das Schöne. GERHARD DILGER