Ein anderes Weltsozialforum ist möglich

In Porto Alegre traf sich globalisierungskritische Prominenz zu einem Friedenskongress. Doch die auf den Gängen am meisten diskutierte Frage lautete: Wie geht es weiter nach Bombay – horizontal oder vertikal?

PORTO ALEGRE taz ■ Bereits der Titel des dreitägigen Kongresses, zu dem Porto Alegres Stadtverwaltung in die Päpstliche Katholische Universität geladen hatte, erinnerte in seiner schwerfälligen Diktion an die Weltsozialforen (WSF), die hier von 2001 bis 2003 stattgefunden hatten: „Internationales Treffen für den Frieden und gegen den Krieg“. Im Foyer gab es Bücherstände, Fotoausstellungen, Entspannungsmassage und die Möglichkeit, sich auf Friedensfahnen zu verewigen.

Vom Podium herab analysierten Prominente aus dem Nahen Osten, Lateinamerika und Europa den „globalen Krieg“ des Empire. Und das Publikum, das sich im riesigen Vorlesungssaal verlor, durfte ein paar Fragen stellen: Globalisierungskritik als Ritual. Mit dem früheren Gouverneur und jetzigen Städteminister Olívio Dutra war sogar ein hochrangiges Mitglied der Regierung Lula gekommen. Doch als ein Zuhörer frustriert die Frage aufwarf, warum Brasilien bislang nicht die geringste Initiative in Sachen Entschuldung ergriffen hat, war der Minister schon längst zum nächsten Termin enteilt. Da half es wenig, dass Beverly Keene von der argentinischen Moratoriumskampagne Jubileo Sur auf die potenziell starke Position Argentiniens und Brasiliens verwies, die zusammen über 30 Prozent der Mittel von IWF und Weltbank binden. Noch immer gilt: Kontroversen innerhalb der Bewegung, zu der sich auch Lulas Arbeiterpartei PT zählt, werden in Porto Alegre nicht öffentlich ausgetragen.

Symptomatisch dafür war die Abschlussrunde „Von Mumbai nach Porto Alegre“: Meena Menon vom indischen Organsationskomitee forderte, die politische und die administrative Arbeit stärker zu trennen. Unbeeindruckt davon zeigten sich die drei angereisten Vertreter des brasilianischen Organisationskomitees. Unisono lobten sie das letzte WSF in Indien als großen Fortschritt, verwiesen auf die Konzeption vom Forum als „offenem Raum“, die Notwendigkeit, die Basis stärker einzubeziehen und die Aktionsvorschläge zu bündeln. Mit jedem Wort demonstrierten sie, wer jetzt wieder das Heft in der Hand hält. Dass im Internationalen WSF-Rat, zu dem über 100 Netzwerke gehören, heftig über das Wie gestritten wird, blieb dagegen unerwähnt.

Einig ist man sich lediglich darüber, dass bei einer bloßen Wiederholung der bisherigen Massenveranstaltungen ein Bedeutungsverlust des WSF programmiert ist. Attac-Vordenker Bernard Cassen sagte gegenüber der taz, sein Plädoyer für einen programmatischen Minimalkonsens werde mittlerweile von allen Attac-Sektionen unterstützt, doch „das Komplizierte dabei sind nicht die Inhalte, sondern die Prozedur. Wie fädelt man das ein, wie wird der Konsens abgefasst, wie legitimiert?“

Satt einen langen, folgenlosen Forderungskatalog auszuarbeiten, solle man eine Gruppe von „Persönlichkeiten mit einer unbestrittenen moralischen Autorität“ dazu bringen, ein griffiges Manifest zu verabschieden. Mit einem „Konsens von Porto Alegre“ als Kontrapunkt zum neoliberalen „Washington-Konsens“ der Neunzigerjahre könne die Bewegung wieder in die Offensive kommen.

„Das WSF baut sich von den Rändern her auf“, meinte hingegen Sérgio Haddad, ein Organisator der ersten Stunde und Verfechter des „horizontalen“ Ansatzes. Ironisch wendete er sich gegen „so genannte organische Intellektuelle“, die die Richtung vorgeben wollten – eine Anspielung auf Kritiker, die sich bereits im Vorfeld ausgegrenzt fühlten und deswegen gar nicht angereist waren. Ob das WSF 2005 mehr Offenheit und zugleich Zuspitzung, vielleicht sogar kontroverse Debatten bieten wird, entscheidet sich in den kommenden Monaten. Im April tagt der Internationale Rat in Italien.

GERHARD DILGER