„Wir werfen Mülltüten-Mollis“

Dreimal wurde Kapitän Raschad von Piraten überfallen. Seine Crew wehrt sich – und ist doch chancenlos

MAHER RASCHAD lenkt seit 22 Jahren Tanker und große Containerschiffe über die Weltmeere. Dreimal wurde er von Piraten überfallen. Das letzte Mal 2007 im Golf von Aden.

taz: Herr Raschad, wie gehen die Piraten gewöhnlich bei ihren Angriffen vor?

Maher Raschad: Sie verlassen sich auf ihre Schlauheit und darauf, dass die Besatzungen nicht aufmerksam sind. Dabei benutzen sie kleine, schnelle Boote. In meinem Fall kamen sie immer nachts. Eine ihrer Methoden ist es, ein zirka 150 Meter langes Seil zwischen zwei kleinen Booten zu spannen. Das Handelschiff fährt dann in das Seil hinein und zieht damit automatisch die beiden kleinen Boote an der Seite des Buges mit. Dann benutzen sie Leitern oder Enterhaken, die mit Gummi umspannt sind. Daran klettern sie hoch. Das geht ganz geräuschlos vor sich. Meist waren sie barfuß, mit freiem Oberkörper, aber gleichzeitig schwer bewaffnet.

Welche Gegenmaßnahmen kann eine Besatzung denn ergreifen?

Die Zonen, die für Aktivitäten der Piraten bekannt sind, durchkreuzt man nicht in ein paar Stunden, sondern in ein paar Tagen. Ich stelle zuvor eine Rechnung auf, das mit so wenig Nächten wie möglich zu schaffen, weil die Piraten meist im Schutz der Dunkelheit angreifen. Das Problem ist, dass sich die Piraten in letzter Zeit auch trauen, tagsüber anzugreifen.

Womit wehren Sie sich?

Als Seeleute von Handelsschiffen dürfen wir nicht bewaffnet sein. Die Reedereien haben die Möglichkeit, private Sicherheitsfirmen zum Schutz der Schiffe zu engagieren. Aber jeder versucht natürlich daneben seine eigenen Methoden zu entwickeln. Ich war dreimal einem Piratenangriff ausgesetzt. Einmal haben sie es an Bord geschafft, zweimal konnten wir das verhindern.

Was genau sind Ihre Methoden, mit denen Sie die Piraten abhalten, an Bord zu kommen?

Ich lasse nachts vermehrt Bordwachen aufstellen und alle Lampen anschalten. Dann kommen unsere Feuerwehrschläuche und Pumpen zum Einsatz. Ich lasse das Wasser die ganze Nacht mit Hochdruck von den Bordwänden pumpen, damit es für kleine Boote schwerer ist, sich dem Schiff zu nähern. Manchmal drehen wir auch unser Soundsystem auf, spielen laute Musik und geben vor, dass wir eine nächtliche Party feiern. Dann haben die Piraten die Illusion, dass alle an Bord wach sind.

Und wenn das nicht ausreicht?

Dann habe ich noch eine andere Methode, zwar mit schlechtem Gewissen, wegen der Umweltverschmutzung, aber was sollen wir machen? Wir packen den Müll in große Tüten und gießen Benzin hinein. Dann stecken wir ein in Benzin getränktes Stoffstück hinein und binden sie zu. So wird die Tüte zum Molotowcocktail, den wir über Bord werfen. Das hat das letzte Mal am Golf von Aden geklappt. Wir konnten die Piraten zurückschlagen. Allerdings ist das gefährlich, denn als die Piraten unten in Bedrängnis gerieten, begannen sie hochzuschießen. Die Kugel, die neben meinem Kopf einschlug, habe ich als Erinnerung in meinem Haus in Alexandria.

Was aber, wenn die Piraten es an Bord schaffen?

Das ist mir einmal passiert. Dann gibt es keine Zeit mehr, Hilfe herbeizufunken. Meine Männer haben die Anweisung, in diesem Fall keinerlei Widerstand mehr zu leisten. Dann geht es darum, Blutvergießen zu verhindern. Man beginnt, so gut es geht, zu verhandeln. Man muss das realistisch sehen. Wenn die Piraten tatsächlich alles daransetzen, an Bord zu kommen, dann schaffen sie das.

Wie kann die Piraterie wirkungsvoll bekämpft werden?

Früher war die Piraterie ein Problem der Armut. Sie kamen mit einfachen Waffen, und es ging ihnen darum, ihr Überleben zu sichern. Heute ist Piraterie ein großes Geschäft. Vielleicht ist das das falsche Wort, ich will ehrlichen Geschäftsleuten nicht zu nahe treten. Es ist eine Art organisierter Kriminalität. Eine Mafia. INTERVIEW: KARIM EL-GAWHARY