„Über Gefühle wird hinweg gebügelt“

Emotionen spielen in jedem Lehr-Kontext eine Rolle, würden aber fast immer ignoriert, weil Lernen mit kognitiven Prozessen assoziiert werde, sagt der Erwachsenenbildungs-Wissenschaftler Günther Holzapfel. Mit einem Weiterbildungsprogramm will er die Fortbildungslücke füllen

GÜNTHER HOLZAPFEL, 67, ist emeritierter Professor für Erwachsenenbildung der Uni Bremen mit Schwerpunkt Humanistische Pädagogik.

Interview: Eiken Bruhn

Fortbildungen für Lehrer gibt es zuhauf – was bietet Ihre ?

Günther Holzapfel, Professor für Erwachsenenbildung: Wir wenden uns an Pädagogen und Pädagoginnen allgemein, nicht nur in Schulen. Wichtig ist, dass wir keine kurzfristigen Methodentrainings machen – die ja an sich durch aus ihre Berechtigung haben – sondern wir wollen nachhaltiger wirken. Was nämlich sowohl in der Pädagogenausbildung als auch in der Fortbildung fehlt, ist die Reflexion der Persönlichkeit, die Arbeit an Ich- und Sozialkompetenz. Wenn Sie mit Lehrern und Lehrerinnen sprechen, dann kommen auf diese seit dem ersten Pisa-Schock ständig neue Anforderungen zu. Aber wie es denen geht, die das alles umsetzen sollen, darum kümmert sich kaum jemand. Da gibt es Gefühle von Ohnmacht, Überforderung und Ausgeliefertsein. Vielfach wird über solche Gefühle einfach hinweg gebügelt.

Sie sprechen über Gefühle.

Sehen Sie, Sie sind skeptisch, wie so viele. Wir tun so, als hätten wir keine Gefühle und als würden die keine Rolle spielen beim Lernen und Lehren. Das tun sie aber und deshalb wollen wir das in unserer Fortbildung offen legen. Wie gehe ich damit um, wenn ich in die Klasse komme und spüre, da ist dicke Luft. Geh ich darüber hinweg? Oder spreche ich das an und erfahre dabei vielleicht, dass es in der Pause eine Schlägerei gab? Was passiert, wenn ich vor der Klasse stehe, wie fühle ich mich, finde ich eine Balance zwischen Nähe und Distanz?

Überschreiten Sie damit nicht die Grenze zwischen Fortbildung und Therapie?

Das ist eine Befürchtung, die ich immer wieder höre. Immer wenn Emotionen ins Spiel kommen, wird das mit Therapie gleich gesetzt, während dem Lernen nur kognitive Prozesse zugestanden werden. In eine therapeutische Situation kämen wir, wenn wir Unbewusstes und Verdrängtes hervorholen würden. Uns geht es um die bewusstere Wahrnehmung der eigenen Ausstrahlung auf die Klasse, der eigenen Überlastungen, des Dichtmachens, der eigenen Rückzugsstrategien. Das geht ja auf Kosten der eigenen Kreativität und schadet auch der Gesundheit. Nicht zuletzt geht es auch darum, vor dem Burn-Out zu merken, wann etwas zu viel ist.

Mit welchen Methoden wollen Sie den Gefühlen auf die Schliche kommen?

Wir machen das beispielsweise mit Skulpturen stellen, wobei die eigenen Körper die Skulpturen bilden. Auf diese Weise können wir eine Unterrichtssituation nachstellen, so dass jemand vielleicht plötzlich spürt, was bei den Lernenden abläuft, dass sie enttäuscht sind, weil die Lehrende keine Führung übernimmt.

Und wenn diese Person erkennt, dass sie aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur weder führen kann noch will?

Eine Lehrkraft muss in der Lage sein zu führen. Führung zu geben ist ja nicht mit autoritärem Verhalten gleichzusetzen. Und wenn eine Lehrkraft merkt, dass sie das ungern tut, gibt es in der Fortbildung die Chance, ihre Barrieren – und gerade auch ihre emotionalen Barrieren – zur Übernahme dieser Führungsfunktion zu erkennen. Daraus lassen sich dann Hilfestellungen und Anregungen zur Überwindung dieser Barrieren finden. Das Potential zum deutlichen Äußern der eigenen Bedürfnisse und Interessen schlummert in jedem Menschen. Es wird nur nicht immer gelebt und fühlt sich von daher zunächst fremd an. Uns geht es darum, solche Potenziale und Ressourcen zu entdecken und auszuprobieren.

Oft wurzeln die Probleme im Klassenzimmer nicht in der Persönlichkeit von Menschen, sondern in Strukturen.

Das stimmt, aber wenn ich die nicht oder nicht so schnell ändern kann, dann kann ich dennoch nach Spielräumen suchen und diese nutzen. Langfristig wirkt das auch auf die Strukturen zurück. Und übrigens: Strukturveränderungen alleine bringen es eben auch nicht.

Mehr zum Weiterbildungsprogramm „Anders lehren – anders lernen“: www.weiterbildung.uni-bremen.de