Weltverein gegen Dauerwunder

Duell im Buchladen: Fast zeitgleich erschienen Vereinschroniken des HSV und Werder Bremen: Der HSV mit einem opulenten Bilderbuch, Werder mit einer raffinierten Geschichtensammlung

von RALF LORENZEN

Kurz bevor es zwischen dem HSV und Werder Bremen wieder um die Frage geht, wer denn die Nummer Eins im Norden ist, treten beide Clubs in den Buchläden gegeneinander an. Fast zeitgleich sind zwei neue Vereinschroniken erschienen. Passend zum ökonomischen Kräfteverhältnis der beiden Hansestädte trifft dabei ein opulentes Bilderbuch auf eine raffinierte Geschichtensammlung.

Der Drei-Kilo-Klotz „Unser HSV“ von Aufsichtsratsmitglied und Fan Axel Formeseyn flößt schon von der äußeren Erscheinung her Respekt ein. Unter dem sakralen Titel ist auf ganz viel Blau die HSV-Raute zentriert. Drinnen wird das Erhabene aber sofort gebrochen: Ein großformatiger Dittsche im Bademantel glotzt uns an und schwadroniert: „HSV is’n Weltverein. ’N reiner Weltverein. Das sach’ ich dir.“ Endlich mal Humor und Selbstironie im Fußball. Auf fast 700 prall gefüllten Seiten entfaltet sich die Bundesliga-Geschichte des einzigen Clubs, der nie zweite Liga war, in mehr als 2.500 größtenteils farbigen Abbildungen, 72 neuen Interviews von Charly Dörfel bis Martin Jol und vielen Geschichten über Spieler, Fans und Funktionäre. Der Aufbau ist chronologisch von der Saison 1963 / 64 bis heute. Zu jedem Jahr gehört ein statistischer Teil mit allem, was zähl- und aufzählbar ist.

Zu einem äußerst gelungenem Sportbuch, über dem mancher HSV-Fans wahrscheinlich bei leuchtender Nachttischlampe einschläft, wird dieses Werk durch die liebevolle und übersichtliche Komposition des Text- Bild und Datenmaterials. Zahlreiche Sammlerstücke in allen Ecken machen das Buch zur Fundgrube für schwelgerische Erinnerungen, fast jede Seite kann sich der Fan als Reliquientapete an die Wand hängen.

Für das neue Buch über die Geschichte von Werder Bremen hätte es sicher glücklichere Erscheinungszeitpunkte gegeben. Kaum lag „Grün-weißes Wunderland“ in den Buchläden, da stellte der Club die Wunderproduktion vorübergehend ein. Die gut 416 Seiten werden diese Krise überstehen, denn es ist gerade ihre Stärke, die Entwicklung des besonderen Werder-Flairs aus vielfältigen Perspektiven Saison für Saison nachzuzeichnen. Keine Liebeserklärung eines Fans wie „Unser HSV“, sondern ein Buch von Journalisten für Leser. Und werdertypische Team-Arbeit der beiden Sportjournalisten Sven Bremer und Olaf Dorow sowie des Historikers Harald Klingebiel, der einen geschichtlichen Exkurs beisteuert.

Die zahlreichen Spielerporträts sind wie die Saison-Reportagen mit viel Insiderwissen, aber dennoch kritischer Distanz geschrieben. Der Leser erfährt genauso detailliert, warum Aad de Mos Anfang 1996 gefeuert wurde, wie die Gründe dafür, warum Volker Finke, Winfried Schäfer oder Arsène Wenger an der Weser angekommen sind. Besondere Dichte erhalten die Rehagel-Jahre von 1981-1995, die jeweils aus der Sicht eines damaligen Spielers erinnert und analysiert werden, von Rigobert Gruber bis Dieter Eilts. Die Texte sind durchsetzt mit witzigen Anekdoten wie der über Ivan Klasnic, der beim Training einem Balldieb das Leder wieder abjagte und sich dafür den Spruch einfing: „Ivan gibt keinen Ball verloren.“

Der umfangreiche Statistik-Teil im Anhang wird durch Kurzportraits fast aller Spieler ergänzt, die für Werder jemals in der Bundesliga aufgelaufen sind. Und noch eine Besonderheit: Im „Grün-weißen Wunderland“ beginnt die Zeitrechnung nicht mit der Einführung der Bundesliga. In einem Extra-Beitrag wird auch die Werder-Geschichte von 1899 bis 1963 informativ nachgezeichnet. Die journalistischen Stärken des Buches lassen darüber hinwegsehen, dass es optisch eher unspektakulär und nüchtern in schwarz-weiß daherkommt. Entscheidend is’, was drin steht.

„Grün-Weißes Wunderland“ von Sven Bremer und Olaf Dorow, Die Werkstatt und „Unser HSV“ von Axel Formeseyn, Edition Temmen