Der Erfinder der Osterlaus

Die unbezähmbare Lust des Robert Wichert. Ein Süßwarenexperte der Extraklasse

Wichert gelingen spektakuläre Durchbrüche auf dem Gebiet der Süßwaren-Chirurgie

Robert Wicherts Bildung wies erhebliche Lücken auf. Begründet war dies in seiner unbezähmbaren Lust an der Einverleibung von Süßwaren aller Art, einer Lust, die ihm schon seit früher Jugend den Erwerb von schulischen Kenntnissen als belanglos und öde erscheinen ließ. Sein Verlangen nach Süßem, meisterlich geschult an den köstlichen Gebäcken seiner Mutter, konnte einem Produkt binnen kurzem zu marktbeherrschender Position im Umkreis seines Wirkens verhelfen. Als Wicherts Mutter, eine oberschlesische Kriegerwitwe, bei der Fertigstellung eines Baumkuchens von zwei Meter fünfzig Höhe zum 16. Geburtstag ihres Sohnes von der Leiter fiel und sich das Genick brach, hinterließ sie dem gerade heranreifenden Sprößling drei Dosen mit Spritzgebackenem und ein handgeschriebenes Rezeptbuch.

Kein Wunder, dass Wichert zum frühestmöglichen Zeitpunkt die Schule verließ, um seinen Broterwerb als Vertreter in der Süßwarenbranche zu suchen, kein Wunder aber auch, dass er aufgrund überhöhter Selbstnachfrage scheiterte. Die enorme Schwundrate war dem Fabrikanten der Zuckerwaren, der ihn aus einer Anwandlung väterlicher Fürsorge in seine Firma aufgenommen hatte, zwar nicht ganz enträtselbar, aber eine Weiterbeschäftigung war vor der Gesellschafterversammlung nicht mehr zu rechtfertigen. Also suchte Wichert im folgenden sein Glück in den ausländischen Metropolen der Süßwarenindustrie.

Die Brüsseler Praliniers stürzte er binnen Vierteljahresfrist in eklatante Lieferengpässe, der englischen Dropsindustrie stattete er einen von schwelgerischen Kindheitserinnerungen inspirierten Arbeitsbesuch ab, bis er in einer privat wirtschaftenden polnischen Karamellen-Manufaktur endlich als Chefverkoster zu seiner Bestimmung fand. Jedoch, wie so oft, die Wechselfälle des Lebens entzogen ihm mit zäher Beharrlichkeit auch diesen klebrigen Boden, auf welchem er sein beschauliches Auskommen gefunden zu haben glaubte, als nach einer unfreundlichen Übernahme just sein vormaliger deutscher Arbeitgeber in die Chefetage einzog. Für Wichert war kein Platz mehr. Er überwand seine Lernhemmung und schrieb sich an der Fern-Universität Hagen im Fach Glucose-Medizin ein.

Selbst seine engsten Vertrauten kennen Robert Wichert zwar als leidenschaftlichen Liebhaber von Kuchen, Keksen und Konfekt, aber kaum einer weiß, dass er auch als Mediziner Mürbgebäck zum Gegenstand seiner Forschungen gemacht hat. Schon im ersten vorklinischen Praktikum revolutionierte der Jungmediziner die Behandlung von Waffelbruch. Seine Bescheidenheit hat es ihm bis heute verboten, Licht ins Dunkel seines wissenschaftlichen Lebenswerks leuchten zu lassen.

Schon in seiner Fern-Dissertation mit dem beziehungsreichen Titel „Symptomatik und Therapie des Lebkuchenherzens“ zeigt Wichert, dass er das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden weiß. Heute verwundert es, dass seine medizinischen Grenzüberschreitungen von der Fachwelt nach wie vor verkannt, ja totgeschwiegen werden.

Dabei gelangen ihm in seiner Laufbahn einige spektakuläre Durchbrüche auf dem Gebiet der Süßwaren-Chirurgie. Hier also in wenigen Torten … – pardon, Worten, eine kleine Auswahl seiner bahnbrechenden Leistungen: Unbemerkt von der Öffentlichkeit und lange vor dem südafrikanischen Professor Christian Barnard gelingt ihm am 2. Dezember 1954 die erste Bypass-Operation am Schokoherzen – ohne Vollnarkose.

Als medizinischer Hansdampf in allen Gassen versucht er sich allen Anfeindungen der Fachwelt zum Trotz 1970 auch in der Augenheilkunde – und besiegt unter Verwendung hauchdünner Schokolinsen den gefürchteten Grauen Fink.

Im Frühherbst 1976, die wissenschaftliche Welt weiß noch nicht einmal, wie man Gentechnologie buchstabiert, transplantiert er in einer spektakulären Operation einen Nikolauskopf auf einen Osterhasen – und umgekehrt. Von der Süßwarenindustrie begeistert aufgenommen, haben sich sein Nikohase und die Osterlaus beim Verbraucher bis heute jedoch nicht vollständig durchgesetzt.

Und dennoch: ein süßes Leben im Dienst der Menschen, ein menschlicher Dienst am Leben der Süßware. Robert Wichert, ein Vollblutschokomann, dem wir alle zu Dank verpflichtet sind.

RÜDIGER KIND