Pathologin mit Hirn in der Hand

Nicht die Wucht in Tüten: Dr. Jordan Cavanaugh windsurft zwar auf der TV-Gerichtsmedizinerinnen-Welle, die US-Serie zur Frau ist aber weder absurd noch realistisch – noch spannend („Crossing Jordan – Pathologin mit Profil“, 22.15 Uhr, VOX)

von JENNI ZYLKA

Sie habe ihrem Chef in die Kronjuwelen getreten, weil sie gerade ein Hirn in der Hand gehalten habe, und mit einem Hirn in der Hand kann man seinem Chef schlecht eine runterhauen. Das erklärt Jordan ganz am Anfang, in ihrem auferlegten Aggressionsbewältigungs-Workshop.

Ausgesprochen ruppig ist Dr. Jordan Cavanaugh (Ex-Stand-up-Comedian Jill Hennessy), hat darum in drei Jahren viermal ihren Job gewechselt und beginnt am Anfang der ersten Folge wieder bei ihrem ehemaligen Arbeitgeber in Boston, Dr. Garret Macy (Miguel Ferrer aus dem Clooney-Clan). Und wird, wie es das unbeirrbare Gesetz der US-Krimiserie verlangt, gleich in einen komplizierten Mordfall zwischen Politik, Ehre und US-Moral geworfen, der schon geklärt scheint, doch Jordan vermutet ganz andere dahinter – und behält natürlich Recht.

Wenn man von einer neuen GerichtsmedizinerInnen-Serie nicht die Wucht in Tüten, sondern einfach nur Standard-Krimiunterhaltung erwartet und außerdem 45 Minuten lang irisch angehauchte Hintergrundmusik ertragen kann, geht „Crossing Jordan“ schon in Ordnung. Jordan windsurft auf der durch Patricia Cornwalls Erfolgskrimis über die Pathologin Dr. Kay Scarpetta ausgelösten Pathologinnen-Welle, und das macht nichts: Auch Dr. Scarpetta ist durchaus unterhaltsam und spannend, und da außer in „Quincy“, „Diagnose: Mord“ und dem recht hölzernen ZDF-Krimi „Die Verbrechen des Professor Capellari“ die riesige Mordflut der Fernsehwelt noch immer von ziemlich wenig PathologInnen beackert wird, kann eine mehr auch nicht schaden.

Dr. Cavanaugh ist – trotz immer wieder betonter Burschikosität – lange nicht so eigenwillig wie Quincy. Sie steigt zwar zur Aufklärung des Falls fast mit einem verdächtigen Kollegen in die Kiste, ist aber sonst eigentlich (hinter der rauen Fassade natürlich) Papas liebes Mädchen – wieder eines der unbeirrbaren Seriengesetze, das besagt, dass Hauptdarstellerinnen mit Starrkopf meistens ihrem Vater nacheifern wollen, der entweder Polizist war und tot ist oder Polizist ist und allein erziehend. So wie bei Jordan eben, nach dem Tod der Mutter hat sie sich angewöhnt, ihrem Vater als eine Art kindliche Profilerin bei der Aufklärung seiner Fälle zu helfen. Das prägt.

Warum sich eine Serie, die in Ansätzen schon mit den Versatzstücken des typischen Kriminalfalls zu spielen vermag, sich nicht noch ein wenig mehr nach draußen wagt, weder stilistisch noch inhaltlich ein wenig mehr ins Absurde, ins Realistische oder einfach ins Spannende wandert, steht wahrscheinlich irgendwo zwischen den vielen unbeirrbaren und ungeschriebenen US-Serien-Gesetzen versteckt. Dabei könnte man es durchaus vertragen. Nichts ist schließlich beruhigender, als sympathischen Menschen bei der Aufklärung eines richtig gruseligen Mordes zuzuschauen. Vor allem, wenn man sich auf ein (außer für den Toten) Happy End verlassen kann.