jenni zylka über Sex & Lügen
: Stöckelschuhe für die Waltons

Gute Gastgeber wissen: Vor dem Schnaps Abwaschen ist wie Duschen direkt nach dem Sex

Meine Freundin hat ihr lustiges Gesicht in den Karteikasten einer Typ-Casting-Agentur kleben lassen, das sei, so erklärte sie mir, eine Chance, hin und wieder skurrile Jobs zu bekommen, an deren Ende man eine Videokassette mit nach Hause nimmt, auf der man zum Beispiel sagt: „Ick steh uff dit Berliner Wasser!“, oder „Bio-Landbetriebe. So muss Gemüse schmecken!“. Bei ihrem ersten Job musste sie allerdings nur maulen: „Mann, bin ich genervt!“, und dazu so genervt gucken, wie sie nur kann, was sie sehr gut kann. Vielleicht infolgedessen hat man ihr jetzt einen neuen Job angeboten: Als Nachfolgerin von Dr. Best, dem Zahndoktor. Der hat nämlich neulich leider ins Gras gebissen, mit seinem Ausnahmegebiss.

Ich persönlich finde es ja schon einen enormen, feministischen Stöckelschuhschritt nach vorne, wenn die FernsehzuschauerInnengemeinschaft sich heutzutage einen weiblichen Arzt vorstellen kann. Immerhin sitzt noch immer ab und an eine perlweiß schimmernde Maus im Fernsehen, die ohne rot anzulaufen von sich behauptet, sie sei „Zahnarztfrau“. Beim Dr.-Best- Nachfolge-Casting wurde meine Freundin jedenfalls schon als echte Zahnforscherin gehandelt.

Sie musste in einen weißen Profi-Kittel schlüpfen, bekam eine Zahnbürste und eine schon – von potenziellen Zahnarzttalenten vor ihr – arg zermatschte, weiche Tomate in die Hand gedrückt und hatte sozusagen volle künstlerische Freiheit. Die einzige textliche Vorgabe, so wiesen sie atemlose, lächelnde Fernsehmiezen ein, sei der Gebrauch der Worte „X-Borsten“, „Zwischenräume“, „Mundbeckenhygiene“ und „flexibler Schaft“. Ansonsten könne sie frei improvisieren.

Meine Freundin ist natürlich nicht auf den Kopf gefallen und legte ein geradezu method-acting-artiges Programm hin: „Mit dem flexiblen Schaft komme ich so tief in meine Zwischenräume, dass die X-Borsten sich biegen“, gurrte sie zum Beispiel im Knef-Timbre. Oder: „Egal, was von Ihrem Mittagessen noch in den Zwischenräumen hängt: Die X-Borsten kratzen’s raus!“ Bis jetzt hat sich noch niemand von der Agentur gemeldet, aber das kann ein wenig dauern, meine ich. Wo man dort offensichtlich sogar an Tomaten spart.

Wer weiß, so klingelte es in meinem Kopf nach der Geschichte, ob jener Dr. Best überhaupt echter Arzt war. Vielleicht war er in Wirklichkeit Hausmeister, oder IT-Berater, oder Gemüsehändler. Aber irgendjemand muss den Mann mit den Pferdebeißern wohl mal an diesen Versuchs-Werbetestern ausprobiert und dabei festgestellt haben, dass eine große Gruppe Menschen einem solchen Zahnarzt glaubt. Zu gerne würde ich mich auch für einen Werbespot-Test zur Verfügung stellen. Vielleicht kann man so Schlimmes verhindern. Mir ist zum Beispiel ein Rätsel, wer gerne einen Freundeskreis wie den haben möchte, der in den Spülmittel-Spots immer stante pede nach dem Essen spülen will. Natürlich weiß ich das Angebot zu schätzen, beim ekligen Abwasch zu partizipieren. Aber muss das noch vor dem Schnaps sein? Das ist so, wie direkt nach dem Sex zu duschen. Obwohl das, vorurteile ich, bestimmt nur Amerikaner tun.

Ich habe außerdem das Gefühl, dass die Paare in diesen Werbespots alle miteinander verwandt sind. Mit anderen Worten: Eigentlich schaut man sich bei einem solchen Spülmittel-Spot eine Art moderne Waltons-Folge an, nur ohne die Storyline. Zwischen den Problemen, die Jason mit seiner Berufswahl oder John Walton mit der Begriffsstutzigkeit von Ike Godsey hatte, gab es immer wieder diese harmonischen „Nach dem Essen spülen wir alle“-Großfamilien-Szenen. Nichts gegen die Waltons, außer John Boys Leberfleck hat mich zeit meines Lebens schwer beeindruckt, dass die Darstellerin von Olivia Walton in Wirklichkeit ein Mann ist, sie heißt nämlich Michael Learned. Ich finde, das sieht man wirklich überhaupt nicht, und es freut mich, dass Transvestiten in einer so frühen und konservativen Phase der US-amerikanischen Serienwelt schon mitmischen durften.

Aber das ist ja nicht das wahre Leben. Im wahren Leben sind Familien klein und zerrissen und notdürftig zusammengepatchworkt, Pärchen sehen sich überhaupt nicht so ähnlich wie im Spülmittelspot, und wer mal mehr als drei zum Essen einlädt, hat oft (nicht immer!) eine kleine Spülmaschine. Oder macht es wie ich und lädt so spät, dass alle schon gegessen haben. Dann braucht man nämlich nur noch Oliven und Tuc-Kekse zu reichen und hat danach lediglich ein paar krümelige Plastikschalen auszuklopfen. Kinderspiel, auch ohne Spülhilfe.

Fragen zu Sex & Lügen?kolumne@taz.de