Neid oder Gerechtigkeit

Am 29. Februar wählt Hamburg. Über die wichtigsten Themen lässt die taz Experten mit Politikern debattieren. Heute im Streitgespräch über Wirtschaft und Arbeit: FDP-Fraktionschef Burkhardt Müller-Sönksen und ver.di-Landeschef Wolfgang Rose

„Arbeitsmarktpolitik ist unter diesem Senat zum Wurmfortsatz der Wirtschaftspolitik geworden“: Wolfgang Rose „Unternehmen sollen bestimmen dürfen, was sie tun, nicht die Gewerkschaften“: Burkhardt Müller-Sönksen

Moderation: peter ahrens

taz: Herr Müller-Sönksen, erklären Sie doch Herrn Rose mal in drei Stichworten, warum Ihre Wirtschaftspolitik erfolgreich ist.

Müller-Sönksen: Wir sind so erfolgreich, weil ein Umdenken stattgefunden hat. Wir haben die Arbeitsmarktpolitik da hingetan, wo sie hingehört, in die Wirtschaftspolitik. Beschäftigungspolitik kann man nicht aus der Sozialbehörde machen. Da braucht man die Sicht- und Denkweise der Wirtschaft.

Rose: Wir waren als Gewerkschaften nie grundsätzlich dagegen, die Arbeitsmarktpolitik zur Wirtschaft einzugliedern. Das, was jetzt stattfindet, ist allerdings nicht das, was wir uns vorgestellt haben. Denn es scheint nicht mehr der Grundsatz zu herrschen, dass die Wirtschaft für die Menschen da ist, sondern die Menschen für die Wirtschaft. Die Arbeitsmarktpolitik ist zum Wurmfortsatz der Wirtschaftspolitik geworden.

Müller-Sönksen: Man muss ja sehen, dass in Hamburg nicht die grundsätzlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden, sondern in Berlin. Und wenn dort arbeitgeberfeindliche Politik gemacht wird ...

Rose: Fakt ist, dass in den letzten zwei Jahren die Zahl der Arbeitslosen erheblich gestiegen ist. Beantwortet wird das mit einer Halbierung der Weiterbildung und einer Diskreditierung von Instrumenten wie ABM.

Müller-Sönksen: Wir haben bisher ja erst zwei Jahre Zeit gehabt, um eine 44 Jahre lang einseitig geförderte Wirtschaftspolitik zu korrigieren. Aber natürlich ist es so, dass, wenn man Arbeitslose aus dem zweiten Arbeitsmarkt wieder in die Statistik zurückführt, auch die Zahlen zunächst ansteigen.

Rose: Sie sagen selbst, dass Sie zielgerichtet den zweiten Arbeitsmarkt abbauen. So hat der Senat die Verantwortung dafür, dass die Initiative für Arbeit und Ausbildung beendet wurde. Auch die deutliche Orientierung Richtung Handelskammer und Handwerkskammer bei der Privatisierung der Berufsschulen gehört dazu.

Müller-Sönksen: Warum sollen nicht Handels- und Handwerkskammer die jungen Leute bei der Hand nehmen und sich selber einbringen, dass die Jugendlichen ein besseres Bildungsniveau erhalten. Wir müssen doch wegkommen von dieser Vollkaskomentalität. Es ist doch so: Die FDP ist die Lobby der Arbeitslosen, und Sie sind die Lobby der Arbeitsplatzbesitzer.

Rose: Dies werte ich als Versuch einer Verleumdung. Sie wissen ganz genau, dass wir unsere Verantwortung haben, Arbeitsplätze zu schaffen und so Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, zum Beispiel über das Instrument der Arbeitszeitpolitik.

Müller-Sönksen: Wir haben einfach einen anderen Ansatz als Sie. Unser Ansatz ist nicht, zu schauen: Was tun wir mit dem arbeitslosen Jugendlichen? Wir sorgen dafür, dass der Jugendliche gar nicht erst arbeitslos wird. Und da sind wir ganz schnell beim Thema Bildung als solches.

Rose: Na ja, in dem Bereich haben Sie doch am offensichtlichsten versagt.

taz: Die Bildungsdebatte führen wir ein anderes Mal. Mich interessiert, was die Gewerkschaft für Rezepte zum wirtschaftlichen Aufschwung parat hat.

Rose: Nehmen wir die Steuerpolitik. Ich rede von Vermögens- und Erbschaftssteuer. Ich hab schon öfter darauf hingewiesen, dass hier einige der reichsten Menschen Deutschlands leben. Wenn man die nur mit zwei Prozent besteuert, hätten wir 400 bis 500 Millionen Euro generiert.

Müller-Sönksen: Neid.

Rose: Das ist keine Neid-, sondern eine Gerechtigkeitsdebatte. Auch die Vermögenden müssen zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben beitragen.

Müller-Sönksen: Was mich am meisten daran ärgert: Sie behindern die Freiwilligkeit dieser reichen Menschen, indem Sie sie zwangssozialisieren. Es gibt keine Stadt in Deutschland, die auf freiwilliger Basis so viele Mäzene und Stiftungen hat. Dieses freiwillige Engagement ersticken Sie.

Rose: So ein Quatsch. Wir hatten die Vermögenssteuer bis 1997, und damals gab es genauso viele Stiftungen.

taz: Die FDP setzt auf die Privatisierung öffentlicher Aufgaben. Das kostet doch nur Jobs.

Müller-Sönksen: Der Staat ist der schlechteste aller Unternehmer. Der LBK gehört mit jährlich 40 Millionen Euro zu den größten Bedarfsempfängern der Stadt. Andere private Krankenhäuser brauchen und bekommen das nicht. Daher ist es gut, eine Teilprivatisierung durchzuführen mit einem kompetenten Partner. Ihr Volksentscheid-Slogan „Gesundheit ist keine Ware“ ist eine polemische Zuspitzung.

Rose: Wir haben da einen grundsätzlichen gesellschaftlichen Gegensatz. Sie wollen weg von der sozialen Marktwirtschaft hin zum reinen Markradikalismus. Wir dagegen denken, dass es erforderlich ist, auch einen öffentlichen Sektor zu haben. Das heißt, dass ein öffentliches Unternehmen mit einem Management auch wirtschaftlich funktioniert. Eben nicht für die private Dividende, sondern für das Gemeinwohl. Und das können Sie bei vielen öffentlichen Unternehmen in Hamburg sehen. Der LBK zum Beispiel ist ein Spitzen-Gesundheitsunternehmen. Die Defizite rühren allein aus Altlasten. Gesundheit sind keine Schuhe und keine Autos. Deswegen ist es notwendig, eine öffentliche Steuerung vorzuhalten. Weil Sie das ganz anders sehen, darf eine Partei wie ihre nicht in die Wirtschaftsverantwortung.

Müller-Sönksen: Sie haben Recht, da haben wir einen Unterschied: Wir wollen, dass Unternehmen bestimmen, was sie tun und nicht die Lufthoheit bei den Gewerkschaften liegt.

Rose: Werden Sie das Ergebnis des Volksentscheides am 29. Februar akzeptieren?

Müller-Sönksen: Ich werde das Beste für die Stadt tun.