Von schönen, guten Waren

Konsum bildet, aber schafft keine Distinktion mehr: Nach dem Relaunch widmet sich das Schweizer Kulturmagazin „Du“ mit dem Themenheft „Gut & billig“ dem Dilemma der bürgerlichen Mittelschicht

VON KOLJA MENSING

Der Wert einer Zeitschrift ist nur schwer zu bestimmen. Geht man etwa nach der Leserschaft, so ist das Magazin Du, wie es im Jargon der Verlagsbranche heißt, zweifellos in einem „hochwertigen Segment positioniert“: Das „Bauhaus Dessau“ gratuliert in der aktuellen Leserbriefspalte zum Thema „Utopisches Bauen“, und William Lautzenheiser, der persönliche Sekretär von Saul Bellow (!), bedankt sich für die „wundervolle und nützliche“ Ausgabe zu Philip Roth.

Aus unternehmerischer Sicht ist Du dagegen durch einen rapiden Werteverfall gekennzeichnet. Eine Million Franken hat die traditionsreiche Zeitschrift im vergangenen Jahr Verlust gemacht. Im September 2003 hat der bisherige Eigentümer Tamedia das Heft darum an den Niggli Verlag verkauft. Der will Du nun mit „schlankeren Strukturen“ und „Synergieeffekten“ auf „eine solide Basis“ stellen und mit einem schon länger geplante Relaunch vor allem jüngere Leser ansprechen. Das erste Ergebnis dieses Prozesses ist die Kündigung von Chefredakteur Christian Seiler. Im Januar verließ er auf eigenen Wunsch – zusammen mit drei anderen Mitarbeitern – die Zeitschrift.

Es bestanden „unterschiedliche Ansichten über die Neupositionierung des Blattes“, schreibt Seiler im Editorial zur letzten von ihm betreuten Ausgabe, die gleichzeitig das erste Heft im neuen Gewand ist – und passenderweise dem Thema „Gut & billig“ gewidmet ist. Das Titelbild ist im Stil einer marktschreierischen Anzeigenseite gehalten und bewirbt unter anderem einen Porsche 911 mit einem dicken „0.-“ als das „relativ billigste Fahrzeug der Welt“: Der Neupreis beträgt zwar 74.504 Euro, der geringe Wertverlust allerdings mache dieses Auto „irrwitzig günstig“. Richtig. Nicht nur der Wert einer Kulturzeitschrift ist derzeit schwer zu bestimmen.

Nach dem Relaunch präsentiert Du ein übersichtliches Layout im Stil von „Brand eins“ und setzt erwartungsgemäß auf kürzere Formate und noch mehr subjektive Schreibweisen. Es gibt viele Glossen und Kolumnen, und das vor kurzem bereits in einer Spezialausgabe erprobte enzyklopädische Prinzip wird in vielen kleinen Randnotizen zumindest in Ansätzen wiederholt. Vom „Bye-Bye-Kaffee“ über Ikea-Kerzen und www.perlentaucher.de bis hin zum Reclam-Heft stellt ein „Katalog für das moderne Lesen“ (fast) alles vor, was gut und billig ist.

Manchmal ist das ironisch gemeint, und manchmal läuft die Ironie auch ins Leere. Der Lifestyle-Journalist Helmut A. Gansterer zum Beispiel preist in einem kurzen Eintrag den auf der Titelseite bereits beworbenen Porsche als das „beste Auto der Welt“ an, „sofern du allein oder zu zwei lebst“. Der Hedonismus, der aus diesen Zeilen spricht, galt vor zehn Jahren als Provokation, ging vor fünf Jahren noch als originell durch und dürfte jetzt selbst bei eingefleischten Du-Lesern nur noch ein Achselzucken auslösen.

Das Problem ist eben, dass sich heutzutage von ökonomischen Entscheidungen nicht mehr eindeutig auf gesellschaftlichen Status und kulturelle Differenzen schließen lässt. Das scheinen auch die Macher von Du zu ahnen, und darum haben sie dankenswerterweise einige Autoren in das Heft genommen, die zum Themenschwerpunkt nicht nur einen Ebay-Erfahrungsbericht oder eine Übersicht mit „13 Weinen unter 13 Franken“ beitragen können, sondern sich grundsätzlich mit dem Wertewandel beschäftigen, der diesen und ähnlichen Phänomenen zugrunde liegt.

Das ist tatsächlich interessant. Unter anderem arbeitet der Soziologe Sieghard Neckel in einem ausführlichen Gespräch anhand der Formel „gut und billig“ das Dilemma der bürgerlichen Mittelschichten heraus, deren Angehörige ihre Distinktionsgewinne durch demonstrativen Konsum einfahren, zugleich aber angesichts der wirtschaftlichen Gesamtsituation zum Sparen verdammt sind. Gezwungenermaßen werden sie so zu „hybriden Konsumenten“ und Smart-Shoppern: „Die Menschen verwenden unheimlich viel Zeit und Mühe darauf, Vergleiche anzustellen und Produktinformationen zu bekommen – und sie erwerben dabei auch eine Menge Kompetenzen“, erklärt Neckel, und der Wirtschaftsjournalist Markus Schär weist an einer anderen Stelle süffisant darauf hin, dass einer der erfolgreichsten Lebensmitteldiscounter seine Werbeprospekte „Aldi infomiert“ betitelt. Hier wird, so Schär, kostenlose (Konsum-)Bildung für jedermann offeriert. Es fügt sich in dieses Bild, dass es bei Aldi mittlerweile auch Originalkunst zu kaufen gibt und aus dem „Schönen, Guten, Wahren“ auf den Ramschtischen und Sonderverkaufsflächen eine „Ware unter Waren“ wird, wie Alex Rühle schreibt.

Eine renommierte und bisher recht bodenständige Kulturzeitschrift mit sechzigjähriger Tradition müsste angesichts solcher Diagnosen eigentlich den Bankrott erklären. Dass sie es bei einem Relaunch bewenden lässt, ist vermutlich genauso heldenhaft wie die Ankündigung, bereits im nächsten Monat mit dem zeitlosen Thema „Ägypten. Europas früheste Vergangenheit“ zumindest inhaltlich wieder Dienst nach Vorschrift zu machen. „Du im März will einen großen Bogen schlagen“, heißt es großspurig im „Ausblick“ der aktuellen Ausgabe, und dann wird ein Essay von Jan Assmann und ein Dossier über die Nilreisen von Flaubert und Melville angekündigt. Du informiert also wie gehabt. Und dabei würde man gerne mehr über Aldi erfahren.

Du, Nr. 743, „Gut & billig. Ein Katalog für das moderne Leben“. 98 S., 12 €