Im Rathaus brennt kein Licht

Ole von Beust, Hamburgs erster Bürgermeister und CDU-Spitzenkandidat für die Bürgerschaftswahlen, war bis vor kurzem der Erste, der die CDU als metropole Innovation verkörperte: homosexuell, liberal, aber konservativ. Dann kam Franz Müntefering. Und in Hamburg ist wieder von Politik die Rede

VON JAN FEDDERSEN

Der Kandidat steht auf dem Wochenmarkt im gutbürgerlichen und alternativen Eppendorf und macht Wahlkampf. Der Kandidat? Er ist im Grunde der einzige Mensch, der für seine Partei in diesen Wochen sichtbar wird: Mit tausenden von Plakaten ist Hamburg seit Ende des Jahres gepflastert, auf ihnen steht nichts außer „Alster Michel Ole“ zu lesen – als sei der Kandidat ein ebenso parteiübergreifendes Symbol wie der Fluss Alster oder die Hauptkirche St. Michaelis, Prunkstück patrizischen Sendungsbewusstseins: Ole von Beust – eine Hamburgensie, ein Synonym für das Hanseatische schlechthin, für Gediegenheit, Antiexzentrik und Verhaltenheit im Lebensgefühl?

Der Mann ist die Trumpfkarte für die CDU schlechthin: Ole, 48 Jahre, Rechtsanwalt, geboren in einem besseren Haus als Carl-Friedrich Arp Freiherr von Beust, der zu seinem populären Vornamen kam, weil seine Oma ihn seines niedlichen Wesens und seiner blonden Haare wegen „ole Popp“ hieß, also aus dem Plattdeutschen übersetzt „alte Puppe“, was in Hamburg ein freundlich gemeintes Adjektiv für ein Kind ist. Dieser Ole von Beust hat eine der erstaunlichsten Karrieren im politischen Gewerbe hinter sich – zumal in der Union.

Und ob diese Karriere in zwölf Tagen, kurz nach 18 Uhr, wenn die ersten Hochrechnungen veröffentlicht werden, eine Krönung findet – das ist nicht nur für den Hamburger Bürgermeister interessant, sondern auch für seine Parteizentrale in Berlin, mehr noch: für Angela Merkel. Vom Wahlergebnis hängt ab, ob das entscheidende Manko der Union, eine der wichtigsten Ursachen für die Wahlniederlage gegen die Rot -Grünen, behoben werden kann: Kann die CDU in einer Metropole bestehen? Hat sich für diese Partei gelohnt, der Vorsatz wurde ja formuliert, sich darüber Gedanken zu machen, dass Frauen und gut Ausgebildete mehr den Grünen und der SPD zuneigen als der CDU?

Ole von Beust hat bis übernächsten Sonntag den Beweis anzutreten, ob ein Spitzenkandidat, der zwar niemals seine Homosexualität bekannte, aber sie keineswegs dementierte, ob der leader of the conservative pack auch Wähler mobilisieren kann, die mit schwulem Lebensstilschnickschnack nichts anfangen können, ihn sogar hassen, weil er verführerisch, aber ihnen unerreichbar scheint.

Nun steht Ole von Beust auf dem Marktplatz, präsidial fast, denn wären seine Haare nicht mehr hellblond, sondern silbrig, könnte er gut einen Filius von Richard von Weizsäcker abgeben. Die Menschen starren ihn an; Mütter mit Kinderwagen bleiben stehen. Ja, er lebt, scheinen ihre Mienen zu sagen, tatsächlich, er ist keine Erfindung. Wahlhelfer der Jungen Union rufen Passanten zu: „Fragen Sie ihn etwas, er antwortet gern.“ Irgendwie aber, aller belangarmen Redseligkeit zum Trotz, wirkt von Beust immer noch so verklemmt, ja hastig-steif wie in jenen Zeiten, als er ein Rechtsanwalt war, zwar Oppositionsführer der CDU in der Hamburger Bürgerschaft, verlässlich, so heißt es, darauf vertrauend, nie auch nur näherungsweise an die Tröge der Macht zu kommen: Er macht an diesem Tag kaum mehr als Händeschütteln, hin und wieder lächelnd, und sagt „Guten Tag“.

Und so geschah’s ja auch vor zweieinhalb Jahren – die CDU sackte ab, auf 26,2 Prozent. Aber die FDP kam ins Parlament – aber vor allem Roland Schill, Richter Gnadenlos: Mit ihm begann von Beust zu koalieren. Das reichte für eine Mehrheit gegen Rot-Grün in Hamburg locker, denn die Sozialdemokraten waren von den Wählern böse, doch gerecht abgestraft worden für dezennienlange Regentschaft, für Filz und Hochnäsigkeit, für Desinteresse und Ausgelaugtheit.

Vorbei war es für Ole von Beust nun mit dem schönen Leben, mit der aktenarmen Ära als Oppositionsführer, mit den Wochenenden auf Sylt, mit den nächtlichen Kneipenausflügen: Er musste beweisen, ob er es kann. Mehr noch unter Druck stand er, seinen Schill bis dahin immer gewähren lassend, als dieser Richter Gnadenlos seinen Bürgermeister zu erpressen schien: wegen seiner Homosexualität. Und von Beust warf ihn aus dem Senat – und selbst das bürgerliche Publikum applaudierte. Plötzlich war der Rechtsanwalt mit der Neigung, jeden Stress, vor allem während der Arbeitszeit, zu vermeiden, ein Star: Nie hat er schmutzige Worte gesagt, nicht einmal schwul, aber jeder wusste doch, dass er keine Landesmutti vorführen würde – obwohl er das Publikum in dieser Hinsicht gerne beflunkerte, mindestens im Unklaren ließ.

Ein homosexueller Politiker ganz nach dem Geschmack des bürgerlichen Milieus: Man weiß alles – und schweigt fein. Bloß keine Schmuddeleien! Die bizarre Entwicklung: auch die in Hamburg nicht einflusslose Homoszene mochte ihren Bürgermeister sehr. Nun, zwar ließ er Fördermaßnahmen für schwule und lesbische Projekte durch seine Senatoren einfrieren oder gleich ganz stornieren – aber in der Szene, rund um das Café Gnosa, war Ole von Beust ein glaubwürdiger Mann: endlich mal einer, der realistisch die Probleme mit dem Schwulsein vorlebte und nicht so tat, als fiele es einem leicht, so ganz und gar anders als die anderen zu leben: Das imponierte in Hamburg mehr, als es ein Klaus Wowereit vermocht hätte.

Sogar Angela Merkel spendete Ole von Beust Beifall, wobei auch sie das Wort homosexuell, von schwul zu schweigen, nie auch nur stumm über die Lippen brachte. Aber sie signalisierte, telefonisch unter zwei Ohren, sogar einmal öffentlich: Er ist okay.

Kurz vor Weihnachten muss Ole von Beust schließlich das Unmögliche für erzielbar gehalten haben: eine absolute Mehrheit für die CDU in Hamburg. Die Prognosen sagten, die Schillianer würden verschwinden – wie auch die FDP. Das war die Zeit, als die „Alster Michel Ole“-Plakate geklebt wurden: Ole von Beust gegen Rot-Grün. Sollte die Partei, die es bis vor zweieinhalb Jahren in Hamburg sehr gemütlich hatte, auf den Oppositionsbänken wirklich das vollbringen, was Petra Roth in Frankfurt am Main und Fritz Schramma in Köln schaffen: die CDU als metropole Innovation wider die sozialdemokratische Verfilzung – liberal im Lebensgefühl, aber effizient, wenn es ums Wirtschaften geht?

Ole von Beust braucht ja keine Skandale mehr zu fürchten: Die tonangebenden Medien in Hamburg sind in Springers Hand, das Hamburger Abendblatt allen voran. Ole von Beust wird nur noch „menschlich gesehen“, wie die entsprechende Rubrik jener Zeitung lautet. Politik spielt nur noch eine untergeordnete Rolle.

Bis Franz Müntefering kam, also vor gut zehn Tagen. Als also wieder ein sozialdemokratisches Urgestein ohne Hader mit den Traditionen (Gewerkschaften, Kleingartenvereine, Taubenzüchterklubs) das sozialdemokratische Ruder übernahm. Einer, der den blässlichen Thomas Mirow zum guten und nicht nur nötigen Spitzenkandidaten seiner Partei in Hamburg ausrief. Seither läuft für Ole von Beust das atmosphärisch Günstige für ihn etwas aus dem Ruder. Sogar in den Umfragen hat er verloren – und versucht es wohl jetzt mit einer heimlichen Zweitstimmenkampagne für die FDP, den erhofften Koalitionspartner.

Jetzt ist in Hamburg wieder von Politik die Rede, also von kaputten Schulen, vom Missmanagement in Sachen Kindergärten, vom Verkauf der städtischen Krankenhäuser und von verwahrlosten Vierteln, die sich sehr, um nicht zu sagen in allem von jenen Wochenmärkten unterscheiden, die Ole von Beust besucht, wenn er überhaupt Wahlkampf macht jenseits der TV-Kameras. Und man stellt fest: Ole von Beust hat an nichts schuld, außer, dass er nichts gemacht hat. Nichts, buchstäblich gar nichts hat sein Senat anzustoßen vermocht. Pleiten, Pech und Monsterpannen.

Ole von Beust, der smarte Rechtsanwalt, der das Puppenhafte, das Unernsthafte ja nie ganz abzustreifen vermochte, dieser Freiherr aus bestem hanseatischem Stall, ist ein „Teflonstück“, wie man bei der SPD sagt. „Im Rathaus brennt kein Licht“, heißt es auch streberhaft, wenn es abends, schon am späteren Nachmittag, darum geht zu prüfen, ob der Bürgermeister noch arbeitet – oder wieder nur irgendwo, jenseits der Elendsviertel auf alle Fälle, repräsentiert.

Thomas Mirow jedenfalls, tapferer Sozialdemokrat, der so gern von Beust beerben täte, sagte, die fehlende Familienpolitik der Union geißelnd, von von Beust sei ja nichts zu erwarten, denn er habe ja keine Kinder. Da klang es wieder durch, das Ressentiment des Familienmenschen wider den Homosexuellen, der mit keinem Nachwuchs angeben kann. Als ob nur Mörder über den Tod reden dürften. Tragischer Wahlkampf: Der eine macht die Show und bangt, der andere ist kein Entertainer und missfällt mit miesen Apercus.

Angela Merkel, die so gern mit ihrer Partei die Metropolen erreichen würde, hat ihre Schlüsse zu ziehen. Die Auswertung könnte sehr kompliziert werden.