WENN WEIN UND SAFT WIE BIER UND COLA BEHANDELT WERDEN
: Das Pfand erreicht die Mittelschicht

Seit Wochen streitet die Regierung über die soziale Ausgewogenheit ihrer Reformen, da kommt die Lösung des Problems schon ganz von selbst. Das Dosenpfand, bislang nur gegen das proletarische Milieu gerichtet, droht nun die intellektuelle Mittelschicht zu treffen – auch wenn der grüne Umweltminister diese Entwicklung noch verhindern will.

Bislang blieb jener Lebensstil, den ein großer Teil des grünen Milieus tagtäglich pflegt, von den Zumutungen des Dosenpfands ausgenommen. Tagsüber gesunder Fruchtsaft und zwischendurch Kaffee, abends edler Wein und Leitungswasser aus der italienischen Karaffe – so ließ es sich in Deutschland trefflich pfandfrei leben.

Die Attacke, die vor etwas mehr als einem Jahr begann, richtete sich vornehmlich gegen die unterprivilegierten Schichten. Bier in Büchsen und Cola aus der Plastikflasche – das gilt in bürgerlichen Kreisen nicht nur aus ökologischen Gründen als pervers. Die Dosenverordnung erwies sich für die Grünen als probates Mittel, der großen Mehrheit ihre eigene Ästhetik aufzuzwingen. Warum aber die Ökobilanz der Einwegflasche davon abhängen soll, ob sie mit schnödem Holsten-Pils oder mit noblem Barolo gefüllt ist, brauchten die Berliner Kulturrevolutionäre gar nicht zu erklären. Ganz bequem konnten sie darauf verweisen, dass die widersinnige Verordnung noch aus den Zeiten der Kohl-Regierung stammte.

In der Praxis kam der Automatismus der Mehrwegquote aber einem elitären Denken zugute, das in intellektuellen Kreisen weit verbreitet ist. Billig bedeutet in deren Verständnis oft ganz automatisch umweltschädlich. Da gilt der Kauf von Bio-Lebensmitteln, die Besserverdienende zum Wohl der eigenen Gesundheit verzehren, als selbstlose Wohltat. Oder es wird munter gegen Billigflieger gewettert – ganz so, als habe der Oberstudienrat mit seinem teuren Lufthansa-Ticket einen ökologischen Ablassschein erworben. Dabei reist die Klientel der Kranichlinie gewiss häufiger als das Billigpublikum. Wer viel Geld hat, hat meist auch mehr Gelegenheit zu umweltschädlichem Verhalten. RALPH BOLLMANN