Israel ist in Den Haag in der Defensive

Der Internationale Gerichtshof in Den Haag soll im Auftrag der UNO ein Gutachten über den Sicherheitszaun im Westjordanland erstellen. Doch die Europäer halten das Verfahren für kontraproduktiv und fordern die Richter auf, kein Gutachten zu erstatten

VON CHRISTIAN RATH

Selten hat ein Verfahren beim Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag bereits im Vorfeld so viel Wirbel ausgelöst. Im Auftrag der UN-Generalversammlung sollen die Richter prüfen, ob der „Sicherheitszaun“, den Israel zur Abriegelung des besetzen Westjordanlandes baut, gegen Völkerrecht verstößt. Fast alle EU-Staaten fordern die Richter auf, kein solches Gutachten zu erstellen, weil es sich um ein „politisches“ Problem handele.

Im April 2002 beschloss die israelische Regierung den Aufbau einer rund 700 Kilometer langen Sperranlage aus Zäunen, Gräben und Mauern. Sie soll es palästinensischen Terroristen unmöglich machen, nach Israel zu kommen. Die Sperranlage verläuft allerdings nicht entlang der grünen Linie, der Waffenstillstandslinie von 1949, sondern teilweise meilenweit jenseits davon im besetzten Westjordanland. So leben zehntausende Palästinenser plötzlich in einem Niemandsland, teilweise abgeschnitten von ihren Feldern, von Schulen und Hospitälern. Israel betont, durch spezielle Durchgänge werde die Beeinträchtigung für die Palästinenser reduziert.

Völkerrechtlich fragwürdig ist weniger der Zaun an sich, sondern sein Verlauf auf besetztem palästinensischem Gebiet. Dass dies illegal ist, hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen im letzten Oktober mit 144 zu 4 Stimmen festgestellt. Auch die EU-Staaten stimmten der Israel-kritischen Resolution zu. Gegenstimmen kamen von Israel, den USA, Mikronesien und den Marshall-Inseln. Israel rechtfertigt den Bau der Sperranlage mit seinem Selbstverteidigungsrecht. Nach einer Friedensregelung werde die Anlage wieder abgebaut, es gehe nicht um die Annexion palästinensischer Gebiete.

Wie die Rechtslage ist, soll der IGH klären. Am 8. Dezember hat ihn die UN-Generalversammlung mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Ein solches Gutachten ist zwar unverbindlich, hat aber hohe symbolische Bedeutung. Es wird weithin damit gerechnet, dass auch die 15 UN-Richter unter dem chinesischen Präsidenten Shi Jiuyong zum Schluss kommen, dass Israel das Völkerrecht verletzt.

Gerade weil das Ergebnis so gut wie feststeht, ist das Gutachten auch so umstritten. Schon der Beschluss in der UN-Generalversammlung kam nur mit relativ schwacher Mehrheit zustande. 90 Staaten stimmten dafür, 8 dagegen, 74 Staaten (darunter die EU-Mitglieder) enthielten sich. Die Europäer befürchten, dass der Verhandlungsprozess im Nahen Osten behindert wird, wenn jetzt zu sehr auf rechtliche Fragen abgestellt wird. Die EU-Staaten haben Angst, dass sich die Israelis in die Enge getrieben fühlen und sich die Palästinenser zu sehr auf den vermeintlich sicheren Propaganda-Erfolg in Den Haag konzentrieren. Deshalb haben sie den IGH jüngst nochmals aufgefordert, seinen Ermessensspielraum zu nutzen und kein Gutachten zu erstatten. Die Zulässigkeit einer IGH-Stellungnahme wird nach Angaben aus dem Auswärtigen Amt jedoch nicht bestritten.

Der IGH hat seit 1946 (neben 78 Streitentscheidungen) erst 24 Gutachten erstellt. Allerdings hat er noch nie einen Auftrag abgelehnt, weil es sich um eine „politische Frage“ handele. Schließlich sind alle völkerrechtlichen Streitigkeiten auch politisch. Deshalb erwarten Beobachter, dass die Richter sich von den Einwänden auch diesmal nicht an der Arbeit hindern lassen.

Im Gegenteil hat sich der IGH der Sache ungewohnt schnell angenommen. Schon am 23. Februar soll die mündliche Verhandlung in Den Haag beginnen, die rund zwei Wochen dauern kann. Rund 50 Staaten und internationale Organisationen wollen sich zu Wort melden. Auf ein langjähriges schriftliches Vorverfahren hat der IGH verzichtet, weil die Generalversammlung ihren Auftrag als „dringend“ bezeichnet hat. Schon im Sommer könnten die Richter ihr Gutachten veröffentlichen.

Wie die Mehrheitsverhältnisse am IGH aussehen, zeigt eine Abstimmung über den Antrag Israels, den ägyptischen Richter Nabil Elaraby wegen angeblicher antiisraelischer Vorurteile für befangen zu erklären. Nur der US-Richter Thomas Buergenthal hielt die israelischen Bedenken für begründet. 13 Richter lehnten den Antrag ab.