Gefesselt von der Endlos-Schlaufe

Der Bremer Lothar Walschik hat einen vermeintlichen Kinderspaß als schützenswertes Kulturgut entdeckt: das Fadenspiel

Pause in der Grundschule. Die Zeit will totgeschlagen werden. Kinder stehen sich gegenüber, wickeln sich Fäden um die Hände und nehmen sie sich mit gespreizten Fingern wieder ab. Ein Kinderspaß, der jenseits der vierten Klasse gewaltig an Attraktivität einbüßt.

„Falsch“, widerspricht der Spiel- und Freizeitpädagoge Lothar Walschik, Gründer der Bremer Fadenspielergruppe „Aboinudi“. Der 53-Jährige beschäftigt sich seit 1979 mit dem Fadenspiel. Was in den westlichen Industriekulturen als belangloser Zeitvertreib für die Jüngsten belächelt werde, sei in Wirklichkeit eine der ältesten Spiel- und Kommunikationsformen der Welt – und auf fast allen Kontinenten verbreitet.

Besonders in den Kulturen der Aborigines in Australien, der Inuit in Sibirien und der Indianer Nordamerikas gebe es seit Jahrhunderten zahllose Techniken, mit Hilfe eines zur Endlosschlaufe geknoteten Fadens komplexe Figuren zu knüpfen – unser europäisches Abnehmspiel sei eine davon. Ob es nun abstrakte Muster oder wiedererkennbare Formen seien: Fast immer stehe der Aspekt des kreativen, geselligen Spiels dabei im Vordergrund.

Bei einigen Kulturen aber, so Walschik weiter, dienten die Fadenfiguren auch der nonverbalen Verständigung. Bei den Aborigines in Australien zum Beispiel seien sie eine allgemeinverständliche Sprache für die etwa 200 Stämme mit ihren insgesamt 600 Sprachen und Dialekten gewesen.

Die australischen Ureinwohner hatten Techniken entwickelt, um bewegliche Figuren zu knüpfen. So knüpften sie zum Beispiel durch Verknotung des Fadens eine Tiergestalt in das Netz zwischen den Fingern. Das Netz war so gespannt, dass man durch Ziehen an einem bestimmten Faden das Tier einmal durch die Fadenfigur wandern lassen konnte. Auf diese Weise wurde die Sichtung eines Beutetieres zwischen den Volksgruppen vermittelt. Bei den Maori in Neuseeland wurde das Fadenspiel zur Liebeswerbung eingesetzt, und auf der Insel Nauru bei Australien war es Gegenstand von ernsthaften Wettkämpfen zwischen Männern.

Mit seinen mehr als 20 Mitspielern hat Walschik es sich zur Aufgabe gemacht, diese „historisch überlieferten“ Fadenspielfiguren vor dem Vergessen zu bewahren. Einerseits durch seine Mitgliedschaft in der International String Figure Association in Pasadena/Kalifornien, die jede bisher bekannte Fadenfigur penibelst erfasst und dokumentiert. Andererseits aber auch durch seinen Einsatz bei der Verbreitung des Fadenspiels in ganz Deutschland.

Die Gruppe Aboinudi sei, so Walschik, die einzige, die Vorträge zum Fadenspiel an Universitäten, Schulen und Kulturvereinen halte. Er selbst habe vor Jahren einen Lehrauftrag an der Bremer Uni zum Thema gehabt, und zwei seiner Studentinnen hätten bei ihm auch ihre Examensarbeiten fürs Lehramt über das Fadenspiel geschrieben. Außerdem sei seine Gruppe die einzige, die das Fadenspiel als große, publikumswirksame Peformance auf Stadtfesten und ähnlichen Veranstaltungen inszeniere. Mit einem 50 Meter langen Großseil, das bei Schwarzlicht leuchtet, bauen bis zu 15 Leute die Figuren in mehreren Metern Größe nach. Das Ganze wird dann gerne mit New-Age- und Meditationsmusik dramatisch untermalt.

Nach ihrem Auftritt auf dem „3. Weltfestival der traditionellen Sportkulturen 2000“, das im Rahmen der EXPO in Hannover stattfand, wurde die Gruppe von der UNESCO zum offiziellen deutschen Beitrag für eine Kultur des Friedens ernannt. Auch beim nächsten Festival 2004 in Montreal sind Aboinudi präsent. Bevor die Gruppe zu diesem Höhenflug ansetzen kann, müssen aber erst noch Sponsoren für die Reisekosten gefunden werden.

till stoppenhagen

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