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: Unglaublich rührend: Hagen Liebings Buch über seine Zeit mit den Ärzten

Zwei Jahre Assistent

Rockstar werden ist nicht schwer. Manchmal reicht ein einziges Telefonat. Hagen Liebing ereilte der Ruf ins grelle Licht des Schaugeschäfts im Sommer 1986. „Hi, hier ist Felsenheimer“, stellt sich die Stimme am anderen Ende der Leitung vor, „willst du Popstar werden?“ Dass die zu dieser Zeit gerade bassistenlosen Ärzte, bei denen Herr Felsenheimer unter dem Namen Bela bis heute das Schlagzeug rührt, damals bei weitem nicht so berühmt wie heute waren, dass die Selbstbezeichnung „Die beste Band der Welt“ und mithin auch die Felsenheimer’sche Frage wirklich noch ironisch gemeint waren, all das hielt Liebing nicht davon ab, den vakanten Posten anzutreten und Bela und Farin Urlaub zum Trio zu vervollständigen. Zwei Jahre lang, bis zur zwischenzeitlichen Auflösung der Band, zupfte The Incredible Hagen fortan den Bass.

Später wurde Liebing Musikjournalist, Gagschreiber für die Schmidt Show und von 1997 an Musikredakteur des Stadtmagazins Tip. Jetzt hat er ein Buch geschrieben über „Meine Jahre mit Die Ärzte“. In dem erhält man so wertvolle Informationen wie die, dass jene Petra, die Liebing entjungferte, zuvor zusammen war mit dem Sänger von Soilent Grün, die wiederum die erste Band von Bela waren; dass die Ärzte am 28. 3. 1987 zum ersten Mal in einem Hotel mit Kabelfernsehen übernachten durften; dass man sich zuvor die Langeweile noch damit hatte vertreiben müssen, vom Hotelfenster aus Passanten mit Spucke zu bombardieren; dass von „Richy Guitar“, einer frühen Ärzte-Single zu einem unsäglichen Film, noch Jahre später hunderte von unverkauften Einheiten auf Belas Dachboden lagerten.

Herzstück des Buches sind die Tagebücher, die Liebing auf den drei Touren, an denen er beteiligt war, geführt hat. Nur unwesentlich aktualisiert und kommentiert glänzen sie naturgemäß mit allerlei Belanglosigkeiten, vermitteln aber auch einen guten Eindruck, warum Rockmusikant ein so begehrtes Berufsbild abgibt: Die, die es geschafft haben, dürfen ihre Kindheit bis ins Unendliche verlängern, werden, wenn sie Glück haben, von der Bundesprüfstelle für bessere Pennälerscherze indiziert und dafür auch noch gut bezahlt.

Ansonsten ist „Meine Jahre mit Die Ärzte“ ein rührendes Dokument eines durch und durch soliden Menschen, der trotz des auf Tour angeblich unvermeidlichen „Samenkollers“ seiner Angetrauten treu bleibt, während um ihn herum ein solches Groupie-Aufkommen herrscht, dass Farin vor und nach jeder Konzertreise einen Aids-Test machen lässt. Liebing verbarg währenddessen bei Fototerminen seinen Ehering, um die Leser der Fan-Postille Bravo nicht zu verwirren.

Mitunter ist aus dem grundsätzlich eher wenig reflexiven Text auch eine gewisse Bitterkeit herauszulesen, dass Liebing nur als „Assistenzarzt“ in die Pophistorie eingehen wird. Dass die beiden Oberärzte zusammen mit ihrem Management verhinderten, dass er zum vollwertigen Mitglied wuchs; dass sich die beiden Mitstreiter kaum gemeldet haben in den Jahren nach der Auflösung der Band; dass er zur Reunion nicht einmal gefragt wurde, um Nein sagen zu können, und stattdessen Rod Gonzalez den Job bekam. „Die sprichwörtlichen 15 Minuten Ruhm im Warhol’schen Sinne“, resümiert Liebing schließlich, „die haben bei mir ja sogar zwei Jahre gedauert.“ Rockstar werden ist nicht schwer, könnte sein Fazit sein, Rockstar bleiben dagegen gar nicht so erstrebenswert.

THOMAS WINKLER

The Incredible Hagen: „Meine Jahre mit Die Ärzte – Erlebt und aufgeschrieben von Hagen Liebing“, Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2003, 256 S., 19,90 €