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Angela Merkels Williamsbirne

Gemengelage im Nachkriegsdeutschland: Das Jahr 2003 ist das Jahr 1982

Weil sich Geschichte immer als Farce wiederholt, heißt es: Obacht, Gerhard Schröder!

„Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen, / Als ein Gespräch vom Krieg und Kriegsgeschrei, / Wenn hinten, weit, in der Türkei, / Die Völker aufeinanderschlagen …“ Der alte Goethe hatte gut reden. Wir können nur betreten schweigen. George W. Bush und seine Präventivkriegshumanisten haben das Golf-Rematch locker nach Hause geschaukelt. Technischer K.O. in der zweiten Woche. Nur der Verlierer machte eine schlechte Figur.

„Ich sitze vor dem Fernseher und bin traurig, weil ihr jetzt als Ladendiebe rüberkommt. Dafür haben wir nicht geweint“, schrieb Bild-Briefonkel Franz-Josef Wagner den Irakern ins Stammbuch. Nun weiß man zwar, dass Wagner seine Tage schon seit Jahren embedded zwischen Wahn und Weinschlauch verdämmert. Aber hat er Deutschland nicht irgendwie aus der Seele gesprochen? All die Kerzen, die schönen Lieder, die Mahnwachen, die Menschenketten, die Tränen, die kalten Füße und die Bibellesungen. Umsonst, verweht, perdu: Völkerrecht, Humanum und leider auch die Aufträge fürs heimische Baugewerbe. Die Welt ist nicht mal „ein Stück weit“ (Björn Engholm) besser geworden, und der Mensch wieder allein mit sich und seinem trostlosen So- beziehungsweise Geworfensein (Martin Heidegger).

Zum Beispiel Häuserkampfexperten wie Peter Scholl-Latour, General a.d. Klaus „Kosovo“ Reinhard oder die grüne Granate Petra Roth. Wie verbringen die jetzt ihre Sonntagabende? Ohne Christiansen allein zu Haus? Und was soll Friedbert Pflüger machen? Die Steuererklärung für Gattin Margarita, die ihre Brötchen unter anderem in der Rüstungsindustrie verdient? Oder doch lieber Politik unterm Kostümrock von Angie Merkel? Ist eigentlich schon mal jemandem aufgefallen, dass die CDU-Chefin immer stärker dem Williamsbirnigen entgegenwächst, mithin aussieht wie der späte Kohl, und die nationale Gemengelage dazu passt wie ein Double des schrecklichen Jahres 1982?

Damals war auch Krieg, in Afghanistan, und 300.000 Friedensbewegte marschierten händchenhaltend durch nach Bonn und weinten. Ronald Reagan drohte mit Weltraumwaffen, die Gewerkschaften mit Dauerstreik und die sozialliberale Koalition am Reformstau zu zerbrechen.

Kanzler Schmidt raffte sich damals halbherzig auf zu einem Sparpaket namens „Operation 82“. Es las sich wie das Erste-Klasse-Begräbnis von 100 Jahren Sozialdemokratie: Kürzungen beim Kinder- und Wohngeld, bei den Hochschulen, der Arbeitnehmersparzulage, beim Wohngeld und im Gesundheitswesen. Erhöht wurden der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung und die Steuern auf Tabak, Branntwein und Sekt. Ein letzter rechter Haken auf die Leber des Proletariats. Der endgültige Knockout folgt in Spanien. Elf kickende Yuppies wurden Vizeweltmeister durch einen niederträchtigen Nichtangriffspakt mit Österreich und den Mordanschlag auf den französischen Stürmer Patrick Battiston. Nach der Finalniederlage gegen Italien unkte der Essayist Norbert Seitz: Die deutsche Mannschaft habe „das Ende der sozialliberalen Ära“ stilistisch antizipiert. Dann war alles tatsächlich sehr schnell vorbei. Abgang Helmut Schmidt.

Weil sich Geschichte tatsächlich immer als Farce wiederholt (Karl Marx), heißt es: Obacht, Gerhard Schröder! Heuer hat Vizeweltmeister Deutschland schon zwei Punkte gegen Litauen verloren. Deutsche verschwinden spurlos im Wüstensand, Schumi kann nicht mehr Auto fahren, und das Magnetfeld der Erde löst sich auf. Mit schrecklichen Folgen für den Kanzler, steht in der Zeit. Satelliten werden zur Erde stürzen und ganze Fernsehprogramme zusammenbrechen lassen. Wie zum Hohn erscheinen längst Totgesagte noch einmal auf der Bildfläche: Jan Ullrich (in Nantes), Leipzig (in München), Big Brother (bei RTL 2) und Heinz Rudolf „Warum bin ich nicht Grönemeyer“ Kunze im Herrenhäuser Garten. Er wird dortselbst im Auftrag des Kulturamtes Hannover den Shakespeare-Klassiker „Was ihr wollt“ zum Musical dekonstruieren. Kenner seines OEuvres (u. a. „Abrissbirne“, „Armutszeugnis“, „Brotlose Kunst“) wollen indes internationale Gerichte einschalten, um ihn wg. Verbrechen gegen die Menschlichkeit an die Briten auszuliefern.

Ob Heinzi das Format hat, die Alliierten für den unauffindbaren Saddam Hussein zu entschädigen, muss allerdings bezweifelt werden. MICHAEL QUASTHOFF

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