Auf Haiti geht der Protest weiter

Die Demonstrationen in dem Karibikstaat halten weiter an. Mehr als die Forderung nach einem Rücktritt des Präsidenten Aristide verbindet Rebellen und Opposition nicht. Derweil soll die Familie des Staatschefs das Land bereits verlassen haben

AUS PORT-AU-PRINCEHANS-ULRICH DILLMANN

Die haitianische Opposition gönnt Jean-Bertrand Aristide keine Verschnaufpause. Inzwischen bemüht sie sogar die „heilige Jungfrau Maria“, um endlich den ungeliebte Staatschef loszuwerden. „Rette Haiti“ erbaten gleich Dutzende von Demonstranten auf Plakaten, die sich im Zentrum der Kleinstadt Petionville, oberhalb der Hauptstadt von Port-au-Prince am Sonntag versammelten.

Zwar kursiert seit ein paar Tagen das Gerücht, dass sich die Gattin von Aristide mit den Kindern ins Ausland abgesetzt habe. Der frühere Armenpriester hat die Fürbitten der oppositionellen Gläubigen jedoch nicht erhört. Er sitzt in seinem Amtssitz und verkündet mit stoischer Ruhe, er werde erst zum Ende seiner Amtszeit 2006 den Präsidentenpalast verlassen.

„Aristide soll verschwinden“, skandieren rhythmisch junge Männer, die gleichzeitig das Madonnenbild emporstrecken. Erst sind es ein paar Hundert, aber je weiter der Demonstrationszug den Berghang hinunter Richtung Port-au-Prince marschiert, um so mehr Menschen schließen sich an. Mehr als Tausend sind es gewiss. „Wir wollen eine gewaltfreie Veränderung“, sagt Victor Boulos, ein 53 Jahre alter Unternehmer. „Aristide ist ein Krimineller. Es gibt Korruption, es gibt keine funktionierenden Institutionen und Sicherheit mehr“, erklärt der Vertreter einer Nichtregierungsorganisation, der sich der Gruppe der 184, einem Zusammenschluss von Nichtregierungsorganisationen, angeschlossen hat. „Aristide hat nichts getan und uns nur die Schimären auf den Hals gehetzt“, schreit ein Student, der seinen Namen auch nicht nennen will.

Die Schimären genannten militanten Lavalas- und Aristide-Anhänger tauchen dann plötzlich während des Marsches aus einer Seitenstraße auf. Mit faustdicken Stein bewerfen sie die Demonstranten, die Besonnene nur mit Mühe von gewaltsamen Reaktionen abgehalten können. Sie antworten mit Schmährufen: „Schimären, ihr seid keine Männer. Wenn ihr Krieg wollt, dann geht doch nach Gonaïves.“

Um den Aufstand der Rebellen in der knapp 160 Kilometer entfernten Hafenstadt drehen sich auch an diesem Sonntag alle Gespräche auf der rund fünfstündigen Demonstration. Als vor allem die studentischen Teilnehmer in Lavalas dominierte Stadtteile weiterziehen wollten, lösen die begleitenden Polizisten in Kampfausrüstung den Protest allerdings mit Tränengas auf.

Himler Rebú, einer der Sprecher der Convergence Démocratique, beschuldigte die Rebellen, die Ziele der Bewegung „zu diskreditieren“. Es gebe keine Verbindung zwischen der Revolutionären Befreiungsfront und der Demokratischen Plattform, versicherte André Apaid, der Sprecher der Gruppe der 184. „Es gibt nur eine Gemeinsamkeit. Wir wollen, dass er zurücktritt und abhaut. Aber wir wollen dies mit friedlichen Mitteln erreichen.“

Aber nicht alle Sprecher des Oppositionsbündnisses distanzieren sich von den bewaffneten Aufständischen. Mit der Widerstandsfront verbinde sie das gemeinsame Ziel, Aristide aus dem Amt zu vertreiben, erklärt Gilbert Leger. Unverhohlen droht der Rechtsanwalt jedoch: „Noch bedienen wir uns friedlicher Mittel.“

Am Sonntagabend war der Präsidentenpalast erneut weiträumig abgeriegelt. Zu den dumpfen Klängen von Blechtröten und Bambusflöten tanzten Tausende durch die völlig in Dunkel gehüllten Straßen. Nicht die Flucht von Jean-Bertrand Aristide wurde mit einem Straßenfest zelebriert. Die Bevölkerung feierte den Beginn der Karnevals. Nur eine kurze Atempause bis Aschermittwoch für die Menschen in Haiti.